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Die Schatten eines Sommers

Die Schatten eines Sommers

Titel: Die Schatten eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Norden
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vielleicht gab es aber auch eine winzige Chance, dass sich in den nächsten Sekunden alles aufklären würde, dass Fabienne unseren ungeheuren Verdacht mit einem einzigen Satz zerstreuen würde, wir daraufhin beschämt auflachen und uns tausendmal entschuldigen würden, um uns danach nie mehr wiederzusehen. Ja, diese winzige Chance gab es. Aber während ich auf Fabienne niederblickte, die ganz ruhig dasaß und uns unverwandt anschaute, wusste ich, dass es so nicht sein würde. Die Wahrheit sah anders aus. Ganz anders.
    «Auf was wartest du? Nun zeig ihn ihr schon!», drängte Hanna.
    Fast widerwillig trat ich näher an Fabienne heran und öffnete meine Faust. Der Silberfisch glänzte im Mondlicht. Er sah schlicht und harmlos aus. Fabienne warf nur einen flüchtigen Blick darauf.
    «Ja, und?»
    «Weißt du, wo wir den Anhänger gefunden haben?», stieß Hanna hervor.
    Fabienne hob die Augenbrauen. «Woher sollte ich?»
    «Er lag in Christians Garten», schaltete ich mich zögernd ein, «im Gras, neben dem brennenden Boot.»
    Fabienne schaute uns abwartend an.
    «Es ist das Symbol für Christus», sagte Hanna.
    «Nein, Hanna …» Fabienne lächelte. «Das ist es nicht. Es ist ein Zeichen, mit dem sich Menschen als Christen zu erkennen geben.»
    Hanna sah für einen Moment so aus, als wollte sie Fabienne schlagen. «Es ist dein Anhänger, Fabienne!», sagte sie dann, und ihre Stimme war plötzlich ungewohnt ruhig. «Du hast ihn getragen, gestern noch. Ich erinnere mich ganz genau.»
    «Solche Anhänger tragen viele Menschen.» Fabienne schien genug zu haben, sie stand auf und wandte sich zum Gehen. Als sie sich bewegte, stieg mir der Geruch ihrer Haare in die Nase, leicht nur, aber unverkennbar: der Geruch nach Benzin, nach Rauch, nach Feuer … Hanna und ich wechselten einen Blick.
    «Du hast das Boot in Brand gesetzt», sagte Hanna in Fabiennes Rücken. «Du wusstest genau, dass Christian es untersuchen lassen wollte. Und dass er Spuren finden würde, deine Spuren.»
    Noch immer drehte sich Fabienne nicht um. Aber sie ging auch nicht weiter, schien wie eingefroren mitten in der Bewegung.
    Ich wollte die Frage gar nicht stellen, sie kam einfach so über meine Lippen. «Du warst es, stimmt es, Fabienne? Du hast Dorit am See getroffen, an jenem Tag … Und ihr seid zusammen hinausgerudert.»

[zur Inhaltsübersicht]
    FABIENNE
    An jenem Tag … Was wusste Marie schon von jenem Tag? Nichts wusste sie. Weder sie noch Hanna. Niemand wusste irgendetwas. Nur Dorit und ich.
    Sie hatte mich angerufen und mir ihre ganze Not und Verzweiflung entgegengeschleudert. Ihre Verzweiflung über Hannas Buch, ihre Not, weil jetzt alles wieder aufgewühlt wurde. «Ich weiß nicht mehr weiter, Fabienne, ich ersticke. Du musst mir helfen!», hatte sie mit ihrer hartnäckigen Eindringlichkeit gefleht. «Du musst mir helfen, sonst passiert noch ein Unglück!»
    Und so hatte ich meine Termine für diesen Tag abgesagt und war losgefahren. Wir hatten uns am See verabredet, «an
unserem
See, Fabienne». Es war Dorits Vorschlag gewesen – womit sie offenbar ihrem Bedürfnis frönte, aus unserem Treffen eine theatralische Inszenierung zu machen. Sie war den ganzen Weg von Beerenbök aus zu Fuß gegangen, und auch das war nichts anderes als eine Überdramatisierung gewesen. Verschwitzt und mit schmerzenden Füßen war sie an dem Pfad angekommen, der zum See führt.
    «Ein Bußgang, Fabienne», erklärte sie und überschüttete mich mit ihren wirren Gedanken, noch bevor wir den See erreicht hatten. Buße, Reue, Vergebung, Aufarbeiten. Wiedergutmachen, wo man nichts wiedergutmachen konnte. Ich ließ sie reden, weil es das Einzige ist, was den Menschen in so einer Situation Erleichterung verschafft.
    Als sie das Boot sah, das im Ufergras lag, die Ruder ordentlich unter den Ruderbänken verstaut, versiegte ihr Redestrom für ein paar Sekunden. Sie strich sich mit der Hand die verklebten blonden Haare aus der Stirn. «Schau, Fabienne», sagte sie, «mit so einem sind wir doch damals immer hinübergefahren, zu unserer Insel.» Und schon fing sie an, das Boot in Richtung See zu schieben.
    «Was machst du?» Ich bemühte mich, meinen Unmut zu verbergen. «Dorit, ich bin nicht gekommen, um mit dir eine nostalgische Bootspartie zu machen.»
    Doch sie hörte mich gar nicht. Entschlossen schob sie das Boot ins Wasser. «Wie früher!», rief sie. «Komm, Fabienne!» Und schon stieg sie ein und balancierte über die Ruderbänke. Als das Boot nicht mehr schaukelte,

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