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Die Schatten schlafen nur

Die Schatten schlafen nur

Titel: Die Schatten schlafen nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Astrid starrte ins Leere. Als van Appeldorn sie leicht am Knie berührte, schreckte sie hoch.
    »Nun komm mal langsam raus aus deiner Depri-Ecke.«
    »Muss ich mir sonst wieder deinen Lieblingsvortrag über Professionalität anhören?«, gab sie patzig zurück.
    Van Appeldorn antwortete nicht, fuhr ruhig weiter, aber sie entdeckte ein amüsiertes Lächeln in seinem Mundwinkel. Er hatte sich sehr verändert im letzten Jahr.
    Sie schaute aus dem Fenster. Rechts und links der Straße lagen Bauernhöfe. Die Fassaden der Wohnhäuser sahen unterschiedlich aus, manche verklinkert, manche verputzt, aber die Anordnung der Gebäude auf den Höfen war identisch.
    »Nierswalde«, überlegte sie. »Ich glaube, hier war ich noch nie. Das ist doch so ein Reißbrettdorf, oder?«
    Van Appeldorn nickte. »Hattet ihr in der Schule keine Heimatkunde?«
    »Wir hatten Erdkunde. Heimatkunde! Was ist das denn für ein Ausdruck? Muss von den Nazis übrig geblieben sein.«
    »Quatsch! Jedenfalls haben wir noch was gelernt über unsere Gegend hier.«
    »Und was hast du über Nierswalde gelernt?«
    »Dass man nach dem Krieg hier ein Stück Reichswald gerodet und Heimatvertriebene angesiedelt hat.«
    »Heimatvertriebene! Noch so ein Wort! Woher kamen die denn?«
    »Weiß ich auch nicht so genau, Pommern und so.«
    »Aha, Pommern und so. Und wann war das?«
    »Irgendwann in den Fünfzigern oder vielleicht auch schon in den Vierzigern.«
    Astrid musste lachen. »Hört sich nicht so an, als wäre Heimatkunde dein Lieblingsfach gewesen.«
    »Jedenfalls haben die damals hier lauter Gärtnereien aufgemacht, Rosen, Nelken, Orchideen, Gemüse …«
    Sie näherten sich dem Dorfkern. An der linken Seite reihten sich spitzgiebelige Siedlungshäuser. In den Vorgärten blühten gepflegte Rosenbüsche, an jedem Fenster prangten Blumenkästen, die Eingänge zierten bepflanzte Kübel und Ampeln, die Wege waren akkurat eingefasst.
    Van Appeldorn wich einem Bagger aus, der von rechts auf die Fahrbahn gerumpelt kam. Dort wurde kräftig gebaut, hübsche Einfamilienhäuser mit dunklen Ziegeldächern und Windfängen aus Glas.
    Die Straße führte zwischen einer Art Dorfplatz und der gelb geklinkerten Kirche hindurch. Von hier aus sah man schon die Brandruine. Der beißende Geruch drang ins Wageninnere, obwohl sie die Fenster geschlossen hatten. Am Bordstein parkte das Feuerwehrauto der Brandwache, auf der gegenüberliegenden Straßenseite drängten sich ein paar kleine Kinder zusammen und tuschelten. Sonst war niemand zu sehen.
    Sie stiegen aus und van Appeldorn gab einen tonlosen Pfiff von sich. In der Nacht hatte es nicht so schlimm ausgesehen und der Gestank war schrecklich. Astrids Augen begannen zu tränen, die Wimperntusche löste sich und brannte wie Feuer. Sie nahm ein Tempotuch, drehte einen Zipfel zusammen und betupfte sich vorsichtig die Augenwinkel.
    Der Feuerwehrmann, der unter dem Türsturz gestanden hatte, kam ihnen entgegen.
    Van Appeldorn nickte grüßend. »Sind die Experten noch zugange?«
    »Nein, die sind vor einer halben Stunde abgefahren.« Der Mann nahm den Schutzhelm ab, sein blondes Haar klebte ihm stumpf am Schädel. »Sie haben zwei Molotow-Cocktails gefunden.«
    »Und wo sind die Bewohner abgeblieben?«
    »Die sind oben. Denken, sie könnten noch ein paar Sachen zusammenpacken.«
    Astrid sah hoch zu den geborstenen Fensterscheiben. Die ehemals weißen Spitzengardinen waren zu bizarren Gebilden zusammengeschmolzen. Ein junger Mann beugte sich hinaus.
    Sie winkte ihm zu. »Guten Morgen. Wir sind von der Kripo. Hätten Sie einen Augenblick Zeit?«
    Van Appeldorn zündete sich eine Zigarette an. »Wo ist denn die ganze Sippschaft abgeblieben?«
    Noch in der Nacht war die Familie gekommen: Männer, die der Feuerwehr im Weg gewesen waren, weil sie immer wieder versucht hatten, ins Haus zu gelangen, um wenigstens ein paar Dinge zu retten; etliche dick eingemummte Frauen, die nicht aufhören wollten, laut zu weinen und zu klagen.
    Der Feuerwehrmann machte ein mürrisches Gesicht. »Sind Gott sei Dank endlich weg. Bis vor einer Stunde kam man sich hier vor wie auf einem Busbahnhof in Anatolien.«
    Astrid warf ihm einen missbilligenden Blick zu und ging zur Haustür hinüber. Die Geschwister Eroglu waren herausgekommen. Sie hielten sich an den Händen. Die Frau hatte geweint, eine verschmierte Tränenspur zog sich über ihre linke Wange. Sie war sehr klein und sehr jung, nicht einmal zwanzig. Ihr Bruder war nicht viel älter, aber er straffte die

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