Die Schatten von Belfast
Sie keine Ruhe geben, wird es ziemlich schnell mit Ihnen und Ihrer Tochter vorbei sein. Und jetzt halten Sie die Klappe!«
Coyle packte Campbell am Handgelenk. »Mach mal halblang, Davy.«
Campbell funkelte Coyle an. Coyle senkte den Blick und ließ Campbeils Handgelenk los. Tränen liefen Marie über die Wangen. Das kleine Mädchen verbarg das Gesicht in ihrem Schoß.
»Seien Sie einfach still«, sagte Campbell. Er ließ Maries Haar durch seine Finger gleiten. »Sie können hier heil wieder herauskommen, wenn Sie still sind und tun, was man Ihnen sagt.«
In ihren Augen spiegelte sich das Scheinwerferlicht des letzten entgegenkommenden Autos. Sie durchbohrte ihn mit ihrem Blick, und er hasste sie dafür. Seine eigenen Augen funkelten, als er sie jetzt anstarrte. Nein, sie hasste er eigentlich nicht. Er kannte sie ja gar nicht. Trotzdem war da dieser Hass in seinem Herzen. Gegen wen?
Als er die Antwort begriff, so glasklar wie noch nie etwas zuvor, konnte er sie nicht länger ansehen. Er schaute nach vorn, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr weiter den Berg hinauf.
Das Gelände wurde eben, Ackerland kam zum Vorschein. Die Scheune und das Haupthaus standen einander gegenüber, dazwischen lag ein Hof aus löchrigem Beton, an der Seite befand sich eine Reihe Stallungen. Überall auf dem Hof standen leere Drahtkäfige herum. Ein wahres Potpourri von Gerüchen lag in der Abendluft. Da waren zunächst der penetrante Gestank nach Hundekot und ein beißender Geruch nach Chemikalien. Daneben schmeckte Campbell in seiner Kehle aber auch den kupfernen Gestank von Blut und Angst.
Sechs Männer hatten sich im Schutz des offenen Scheunentors versammelt. McGinty war da, ebenso sein Fahrer Declan Quigley. Dann noch zwei andere, die Campbell nicht kannte. Aber die beiden Großen und Stämmigen konnten nur Bull O’Kane und sein Sohn sein. Angesichts von O’Kanes Körpermasse lief Campbell ein Schauer über den Rücken. Marie verhielt sich inzwischen vollkommen still. Er fragte sich, ob sie wusste, wer dorr vor dem Lieferwagen stand und die Augen gegen das Scheinwerferlicht abschirmte. Mit einem letzten Rattern und Rütteln erstarb der Motor. Campbell machte die Tür auf und kletterte hinaus.
Die Gruppe Männer trat hinaus in den Nieselregen, O’Kane an der Spitze. »Bist du Davy Campbell?«, fragte er. »Richtig.«
O’Kane trat zu ihm und reichte ihm die Hand. »Ich habe schon von dir gehört.«
Die Finger waren rau und feist. Campbell musste sich zusammenreißen, dass er beim Händedruck des Alten nicht zusammenzuckte.
»Ja«, wiederholte O’Kane mit einem schiefen Grinsen. »Ich weiß alles über dich.«
Campbell wurde mulmig. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. O’Kane.«
»Nenn mich Bull. Wie geht es denn nun unseren Gästen?« Er ließ Campbells Hand los und lief hinüber zur Beifahrerseite, wo Coyle wartete. O’Kane ignorierte ihn und streckte seinen Arm ins Wageninnere. »Kommen Sie raus, meine Liebe. Es ist alles in Ordnung.«
Das Mädchen auf den Armen, rutschte Marie über die Bank und glitt aus dem Wagen. Sie zog den Ellbogen nicht weg, als O’Kane ihn anfasste. McGinty trat vor, und Campbell sah, wie er und Marie einander anstarrten. Etwas Kaltes lag in ihren Blicken.
O’Kane ließ seine Hände unter die Arme des Kindes gleiten. »Und wer bist du?«
Marie ließ ihre Tochter nicht los. »Nicht.«
»Wie heißt du denn?«
Das Mädchen krallte sich am Pullover ihrer Mutter fest, aber O’Kane riss sie los.
»Ihr Name ist Ellen«, sagte Marie mit belegter Stimme.
»Du bist aber ein hübsches kleines Mädchen.« O’Kane nahm Ellen auf die Arme und kniff sie in die Wange. Sie streckte die Arme nach ihrer Mutter aus, aber O’Kane ging einfach.
»Magst du Hündchen?«
Ellen rieb sich die Augen und verzog den Mund.
O’Kane marschierte zu den Ställen und drückte sie fest an sich. »Ja? Magst du Hündchen?«
Ellen nickte. Aus den Ställen drang Kratzen und Jaulen. Campbell wurde der Mund trocken.
»Warre bloß, bis du dieses schöne Hündchen siehst.« O’Kane entriegelte den oberen Flügel einer geteilten Stalltür und zog sie auf. Von drinnen kam ein leises Winseln.
Campbell sah hinüber zu Marie. Sie hielt sich die zitternden Hände vor dem Mund. Mit aller Kraft versuchte sie sich zusammenzureißen und ihre Furcht vor dem Kind zu verbergen. In Campbell stieg ein seltsames Gefühl hoch. Vielleicht war es Respekt. Plötzlich verspürte er das ebenso unerklärliche wie verzweifelte
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