Die Schatten von Belfast
Verlangen, sie zu berühren. Er verdrängte es.
Die anderen sechs Männer - Coyle, McGinty, der Fahrer, O’Kanes Sohn und die beiden, die Campbell nicht kannte - stierten allesamt auf die Stalltür.
McGinty machte einen Schritt auf den Alten zu. »Bull«, sagte er.
O’Kane wandte sich zu ihm um. »Ist schon in Ordnung. Menschen gegenüber sind diese Burschen lammfromm. Ich trainiere sie ja richtig.«
Ein undefinierbarer Gestank kam aus dem Stall geweht. Schwere Pfoten tauchten über dem Rand der unteren Tür auf, gefolgt von einem riesigen, schmutzverkrusteten und vernarbten Kopf. Der Hund ließ die Zunge aus dem Maul hängen, und ein ekliger Sabberfaden verschwand in der Dunkelheit. O’Kane streckte seine freie Hand aus und kraulte dem Pitbull das dicke Nackenfell. Der Hund blinzelte, als er die schwielige Hand spürte.
»Guck mal da. Das ist aber ein nettes Hündchen. Willst du ihn mal streicheln?«
Ellen schüttelte den Kopf und wischte sich die feuchten Wangen ab.
»Ach komm schon. Ist doch so ein nettes Hündchen.«
Ellen sah zu dem Hund hinunter und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. Sie schniefte.
O’Kane hielt sie weiter nach unten, damit sie mit dem ausgestreckten Händchen den Kopf erreichen konnte. Mit den Fingern kräuselte sie seine Stirn. Marie kniff die Augen zusammen, als die Zunge über die Fingerspitzen leckte. Coyle legte ihr eine beruhigende Hand auf die Schulter.
»Da siehst du mal. Ich habe dir doch gesagt, dass es ein nettes Hundchen ist.« O’Kane hob das Mädchen wieder auf die Arme, während sie weiter den Kopf des Hundes streichelte. Er sah Marie an, ein väterliches Lächeln auf den Lippen. »Sie werden sich doch benehmen, nicht wahr, meine Liebe?«
Marie funkelte ihn an.
»Ganz bestimmt tun Sie das.« O’Kane drückte mit der freien Hand den Kopf des Hundes zurück und schob den oberen Türflügel zu. Während er wieder zu Marie zurückkam, schaukelte er Ellen auf den Armen. »Du und deine Mami, ihr seid brav, stimmt’s?«
Mein Gott, mach, dass es vorbei ist, dachte Campbell nur. Beim plötzlichen Trillern eines Mobiltelefons tat sein Herz einen Satz in der Brust.
McGinty griff in seine Jackentasche. »Hallo?«
Campbell sah, wie McGintys Gesichtszüge entgleisten. Das Telefon an einem Ohr und einen Finger im anderen, entfernte sich der Politiker von den anderen.
»Langsam, Patsy. Was ist passiert?«
Von einem wackeligen Stuhl in der Ecke aus beobachtete Campbell, wie McGinty und O’Kane durch den Raum wanderten. Er biss sich auf die Unterlippe, während das Pendel zwischen den beiden ständig hin und her schwang. Hier das alte Schlachtross O’Kane, dort der aalglatte Politprofi McGinty. Nur wenig mehr als ein Jahrzehnt trennte die beiden, aber eigentlich waren sie Generationen auseinander.
»Das ändert alles«, sagte McGinty.
»Es ändert überhaupt nichts«, widersprach O’Kane.
Eine von dem Generator draußen betriebene nackte Glühbirne erhellte die Stellen, wo die Feuchtigkeit die Tapete hatte abblättern lassen. Downey lehnte an der rückwärtigen Wand des Wohnzimmers und hatte seine dünnen Arme vor der Brust verschränkt. Der Fahrer Quigley saß mit übereinandergeschlagenen Beinen an einem Ende einer ramponierten Couch, am anderen hockte O’Kanes Sohn. Coyle lehnte krumm an der Wand und warf Campbell gelegentlich böse Blicke zu. Malloy bewachte in einem der oberen Räume Marie und Ellen. Hier und da schlug ein sanfter Regen gegen die alten Schiebefenster, und überall hörte man Wasser tropfen. Der Geruch nach Schimmel und Mäusen stach Campbell in die Nase.
»Verstehst du denn nicht, Bull?« McGinty blieb stehen und breitete die Arme aus. »Sobald das rauskommt, bin ich erledigt. Die Leiche eines Cops im Wagen meines Anwalts! Man wird mich aus der Partei ausschließen. Ich werde keinen einzigen politischen Freund mehr haben. Und die Unionisten gehen möglicherweise trotzdem noch auf die Barrikaden. Sie werden den Stormont scheitern lassen und dabei noch den Eindruck erwecken, als täten sie das einzig Richtige. Mein Gott, denk nur mal an die Partei. Stell dir vor, was für einem Druck die ausgesetzt sein wird. Aus London, aus Dublin, aus Washington.«
Er hat recht, dachte Campbell.
Die Welt und ganz besonders Amerika sah Terroristen neuerdings nicht mehr in einem so romantischen Licht, selbst wenn sie sich Freiheitskämpfer nannten.
O’Kane schnaubte. »Wir sind jahrelang sehr gut auch ohne deren Hilfe ausgekommen. Die können
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