Die Schatten von Belfast
Schmerz auf ihn lauerte. Seine Seele schrie auf, fand aber nicht den Atem, um diesen Schrei hörbar zu machen. Dann war er wieder frei. Von oben konnte er zusehen, wie irgendwelche Gestalten seinen Leib hinaus in die Dunkelheit und den Regen trugen. Selbst hier oben war der Gestank in diesem Haus noch unerträglich.
Die Prozession marschierte durch ein graues Meer auf eine gleißende Sonne zu. Campbell war klar, dass dort die Scheune war, schon für ihre Ankunft erleuchtet. Hier kämpften sonst die Hunde um ihr Leben.
Die Hunde.
In seinen wirbelnden Gedanken stellte Campbell sie sich vor, die Hunde, wie sie über seinem Körper sabberten. Er würde bald sterben, das wusste er, und dann würden die Hunde ihn kriegen.
Nein. So nicht. Nicht hier.
Wach auf! Egal, wie viel Schmerz da unten auf dich wartet, egal, wie weh es tut, wach auf!
Fegan sah das erste Anzeichen des Sonnenaufgangs über dem Stalldach, als er den Hof überquerte. Coyle und Pädraig hievten Campbeils schlaffen Körper durch das Scheunentor. Der Schotte keuchte und stöhnte, als sie ihn am Rand des Hundekampfplatzes ablegten. Die ganze Zeit über hielt Downey Fegan die Mündung der Schrotflinte ins Kreuz gedrückt.
Fünf Schatten folgen ihnen in das hervorbrechende Licht und nahmen Gestalt an.
O’Kane holte aus irgendeiner Ecke eine Rolle Plastikfolie hervor. Er brachte sie zum Kampfplatz und entrollte sie auf der blut- und kotbesudelten Erde. Pädraig half ihm. Der aufsteigende Geruch schnürte Fegan die Kehle zu, und er unterdrückte mit Mühe ein Würgen. Er wollte nicht hier sterben.
»Es tut mir leid«, sprach er seine Verfolger an. Die UFF-Burschen sahen von Campbeils bewusstlosem Körper hoch, die Frau und der Metzger stellten sich neben ihn. »Ich habe es nicht geschafft. Ich habe es versucht, aber nicht geschafft. Es tut mir leid.«
O’Kane sah aus der Hundearena hoch. »Sprichst du mit deinen Freunden, Gerry? Denen in deinem Kopf?« Fegan nickte. »Ja.«
O’Kane winkte ihn heran. »Komm her, Junge.«
Fegan stieg hinab in die Kampfgrube. Downey folgte ihm und stieß ihn vorwärts. »Lassen Sie Marie und Ellen jetzt gehen?«, fragte er.
»Das hab ich dir doch schon gesagt. Mein Gott, Gerry, was ist bloß mit dir los? Der große Gerry Fegan! Erinnerst du dich noch an das letzte Mal, als wir uns begegnet sind? Wie lange ist das noch mal her, hast du gesagt? Fünfundzwanzigjahre?«
»Siebenundzwanzig«, verbesserte Fegan. »Ich war achtzehn.«
O’Kane wandte sich an die anderen. »Da war er noch ein kleiner Junge, aber trotzdem hatte er sich schon einen Ruf erworben. Er ist der Einzige, der je die Hand gegen mich erhoben und es überlebt hat. Das war bei unserer ersten Begegnung. Das nächste Mal muss dann so um 1980 herum gewesen sein. Eine schlimme Zeit damals. Wir hatten es mit einer Verräterin zu tun. Ein Mädchen aus Middletown, die einen Briten vögelte. Sie versuchte abzuhauen und von Belfast aus auf ein Boot zu kommen, aber McGintys Jungs haben sie noch an den Docks abgefangen. McGinty und unser Gerry haben sie dann hier herunter zu mir gebracht. Stimmt’s, Gerry?
Fegan erinnerte sich. »Stimmt«, sagte er.
»McGinty drückt also Gerry die Waffe in die Hand und sagt: >Auf geht’s, Gerry, jetzt kommt deine Premiere.< « O’Kane zeigte auf Campbell. »Bringt ihn hier runter.«
Pädraig ging zu Coyle und half ihm, Campbell in die Grube abzulassen. Der Schotte schrie mit schmerzverzerrtem Gesicht auf, als sie ihn auf die Folie legten, obwohl er kaum bei Bewusstsein war. Coyle zog seine Pistole aus dem Hosenbund und setzte sie Campbell an den Kopf.
»Was soll das denn werden?«, fragte O’Kane.
»Ich will ihn umlegen«, erklärte Coyle.
»Mag ja sein. Aber das machst du erst dann, wenn ich es dir sage, nicht vorher.«
Coyle ließ ein ungeduldiges Seufzen vernehmen und steckte die Waffe zurück in seinen Hosenbund. Pädraig trat neben seinen Vater.
O’Kane fuhr fort. »Jedenfalls nimmt unser Gerry die Waffe und glotzt uns einfach nur an. McGinty fragt ihn, was los ist, und Gerry sagt: >Nein, ich kann das nicht. Ich kann nicht.< «
»Sie war doch nur ein Mädchen«, wehrte sich Fegan. »Nicht älter als ich. Sie hatte Angst. Und sie war schwanger.«
O’Kane trat näher an ihn heran. »Stimmt, sie war schwanger. Hatte einen britischen Bastard im Bauch. Na und? Sie war eine Verräterin. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Und du hattest nicht den Mumm. Ich musste es für dich erledigen.«
Fegan erinnerte sich noch
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