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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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dann tötet ihr mich.«
    O’Kane lächelte. »Nicht so hastig. Erst möchte ich noch ein paar Dinge wissen.«
    »Was?«
    »Ich will wissen, warum, Gerry.«
    Fegan sah zur Tiir, durch die gerade Marie hereinkam. Sie trug Ellen auf dem Arm und wurde von Quigley hereingeführt. Pädraig folgte und schloss hinter sich die Tür. Er führte Marie in eine Ecke. Ellen zappelte im Arm ihrer Mutter.
    »Da ist Gerry«, rief sie.
    »Ich weiß«, sagte Marie mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme. »Halt still, mein Schatz.«
    Aber Ellen krümmte sich weiter, bis sie sich schließlich dem Griff ihrer Mutter entwunden hatte und auf den Boden hopste. Sie rannre auf Fegan zu. »Bist du wegen uns gekommen?«, fragte sie und kletterte ihm auf den Schoß. Sie war leicht wie eine Feder.
    »Ja«, sagte Fegan.
    »Mummy hat Angst.«
    »Ich weiß. Aber das muss sie nicht. Und du auch nicht. Alles wird gut, das verspreche ich.«
    »Wann können wir nach Hause?«
    Fegan nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Bald. Nun geh wieder zu deiner Mummy.«
    Ellen kletterte von Fegans Knie und lief zurück zu ihrer Mutter. Marie hockte sich hin und nahm ihre Tochter in die Arme. Fegan lächelte sie an, und sie nickte zur Antwort, dann schlug sie die Augen nieder.
    O’Kane trat zwischen sie, so dass Fegan sie nicht mehr sehen konnte. »Du hast mir keine Antwort gegeben, Gerry. Ich will wissen, warum du das alles gemacht hast. Sag es mir.«
    Fegan sah in das gerötete Gesicht des anderen. »Weil ich musste.«
    »Du musstest. Was soll das heißen?«
    »Ich musste es tun. Es war die einzige Möglichkeit.«
    »Die einzige Möglichkeit wozu?«
    »Sie dazu zu bringen, dass sie mich in Ruhe ließen.«
    »Wen?«
    Fegan sah zu Boden.
    »Wen wolltest du dazu bringen, dich in Ruhe zu lassen?« O’Kane hockte sich hin und hob mit einem Finger Fegans Kinn so weit hoch, bis ihre Blicke sich trafen. »Für wen hast du das gemacht, Gerry? Für die Briten? Oder für sonst jemanden? Jemanden, den wir kennen? Mach dir keine Gedanken, jetzt ist alles vorbei. Du kannst es mir ruhig sagen.«
    »Nein«, sagte Fegan, während im schon die Kälte in den Körper kroch. Vom Rand seines Blickfelds her kamen die Schatten zur Mitte und stellten sich zwischen McGinty und Campbell. Ihre Silhouetten wurden klarer, fester. Fegan versuchte, sie zurückzudrängen, ohne Erfolg. Ihre Augen brannten auf ihm.
    »Sag es mir«, forderte O’Kane. Er packte mit seiner Pranke Fegans Gesicht. »Sa ges mir!«
    »Die da!« Fegan zeigte auf die Frau, ihren Säugling und den Metzger, die immer wieder von neuem McGintys Exekution durchspielten. Dann zeigte er auf die Burschen von der UFF, die über Campbell standen. »Und die da!«
    McGinty hielt mit der Zigarette knapp vor dem Mund inne, seine Augen glitten zwischen O’Kane und Fegan hin und her.
    O’Kane starrte McGinty an. »Meinst du Paul? Hat Paul dich veranlasst, das zu tun?«
    McGinty ließ die Zigarette fallen. »Mein Gott, Bull, er ist verrückt. Er weiß nicht, was er redet.«
    O’Kane wandte sich wieder Fegan zu. »Haben Paul McGinty und Davy Campbell dich gezwungen, das zu tun?«
    »Nein, die nicht.«
    »Auf wen zum Teufel zeigst du dann?«
    »Auf die da!« Fegan deutete nacheinander auf jeden seiner Verfolger. »Auf die Menschen, die ich umgebracht habe.«

Campbell schwebte über ihnen und sah von der Decke aus zu. Er sah sie als Silhouetten aus Schatten und Licht, hörte ihre Stimmen wie Echos der Erinnerung. Er konnte unter sich seinen eigenen Körper sehen. Da unten lag der Schmerz. Der Schmerz hatte ihn fast gebrochen, ihn fast aufgefressen, aber jetzt war er von ihm abgefallen, er war da unten in dem Körper auf der Couch.
    Ein seltsam kaltes, süßes Gefühl überkam ihn, so als sei er in Zuckerwasser ertrunken. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, aber es war so schwer, am eigenen Bewusstsein festzuhalten, wenn es so ungehindert wie jetzt dahintrieb. Erst war da der Schmerz gewesen, donnernd und kochend heiß. Dann war eine große Welle der Freude über ihn hereingebrochen, Euphorie hatte ihn durchflutet, als hätte jemand ihm etwas Kühles, Süßes in Mund und Nase gegossen.
    Und jetzt das hier.
    Aber da war noch etwas anderes. Irgendein Gedanke, der sich in seinem Geist eingenistet hatte, bevor der von seinem Körper weggedriftet war. Angestrengt versuchte er, sich durch die vernebelten Fragmente seiner selbst zu tasten. Was war es gewesen?
    Von unten drang eine zornige Stimme herauf. Man konnte hören, wie einer einen anderen

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