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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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dem Fenster. Tagsüber hatte er so genügend Licht zum Arbeiten. Abends wölbte sich eine Schreibtischlampe über die Werkzeuge, die er ordentlich vor sich ausgebreitet hatte. Für seine gegenwärtige Aufgabe brauchte er Abdeckband, Stahlwolle und Olivenöl. Er legte den Stein auf eine Zeitung und wischte mit einem Tuch den Schleifstaub ab, winzige Metallspäne, die beim Schliff auf den abgeklebten Teilen des Griffbretts zurückgeblieben waren.
    Aus dem Radio auf dem Sideboard kam leise Bluesmusik. Fegan konnte mit den leiernden Akkorden und den schwermütigen Stimmen nicht viel anfangen, aber er hatte sich überlegt, auf der C.F Martin-Gitarre spielen zu lernen, wenn sie erst einmal fertig war. Ronnie hatte ihm erzählt, sie sei ein Sammlerstück. Aber Gitarren seien nicht zum Sammeln da, sondern zum Spielen. Deshalb hörte Fegan beim Arbeiten Radio und hoffte, dass er irgendwie etwas von der Musik verinnerlichen konnte.
    Als die Musik aufhörte und der Moderator die Nachrichten ankündigte, griff Fegan zum Radio und schaltete es ab. Alle Welt redete über McKenna. Die Politiker, die Bullen, die Sicherheitsexperten - die Reporter waren sogar schon darauf verfallen, sich gegenseitig zu interviewen, um nur ja auch noch den letzten Tropfen Blut aus der Geschichte zu saugen.
    Fegan nahm wieder den Wetzstein und ließ ihn über das Griffbrett gleiten, hin und her. Der Rhythmus wirkte beruhigend auf ihn. Neun Uhr. Heute Abend hatte er noch gar nichts getrunken. Wie jeden Abend hatte er sich geschworen, keinen Tropfen anzurühren. Irgendwo tief in seinem Herzen wusste er, dass er diesen Schwur brechen würde. Er wusste, sie würden heute Abend wiederkommen, obwohl er dem Jungen McKenna geliefert hatte. Sie wollten mehr.
    Sie wollten Caffola.
    Fegan fuhr mit dem Stein auf und ab, die Bewegungen kamen fließend aus seinem Arm. Sei schön ruhig, sagte er sich. Sei ruhig und achte nicht drauf.
    Ruhe und Geduld.
    Funken blitzten hinter seinen Augen auf.
    Fegan legte den Wetzstein hin und bettete die Gitarre auf den Filz, der die Lackierung schützen sollte. Er stand auf, ging zum Sideboard und goss sich zwei Fingerbreit Jameson’s und dieselbe Menge Wasser ein. Der Whiskey wärmte ihn von innen, während die Schatten an den Wänden entlangkrochen.
    Ruhe und Geduld.

»Also, was glaubst du, wer McKenna erledigt hat?«, fragte McSorley und hievte das Steuer nach links.
    Campbell sah sich über die Schulter zur kalten Ladefläche des Lieferwagens um, auf der der Alte lag und aus dem Kissenbezug wimmerte, den man ihm über den Kopf gestreift hatte.
    »Mach dir um den keine Gedanken«, sagte McSorley.
    Campbell richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die sich vor ihnen windende Landstraße und trat unwillkürlich fest auf die abgenutzte Fußmatte, so als wolle er für McSorley bremsen. Den ganzen Tag hatte er darauf gewartet, dass sein Mobiltelefon klingeln würden und sich dazu zwingen müssen, nicht alle zehn Minuten nachzuschauen, ob er irgendwelche Anrufe verpasst hatte. Die Unruhe nagte an ihm.
    »Und?«, hakte McSorley nach. »Was glaubst du nun?«
    »Wer auch immer es war, der kann nicht mehr alle Tassen im Schrank haben«, antwortete Campbell. »Oder er ist einfach dämlich. Damit kommt doch keiner durch. Das lassen die Jungs nicht auf sich sitzen. Wenn sie müssen, brechen sie dafür sogar den Waffenstillstand.«
    Der Lieferwagen fuhr durch ein Schlagloch. Campbell musste sich am Armaturenbrett festhalten. Der Alte schrie auf, als er zwischen Ladefläche und Trennwand hin und her geschleudert wurde. Comiskey und Hughes warteten in seinem kleinen Cottage und bewachten seine Frau, bis Campbell und McSorley mit dem Safe-Inhalt des Postamts zurückkehren würden. Bis ins Dorf hinein war es nur ein kurzer Weg.
    »Schätze mal, du wärst auch einer von diesen Jungs gewesen, die ihn suchen würden, oder?«
    Campbell versuchte McSorleys Gesicht zu studieren, aber die Dunkelheit verschluckte alles bis auf den wässrigen Glanz seiner Augen. »Möglich.«
    »Bei mir brauchst du dich nicht zu zieren, Davy. Wir sind doch Kumpel, oder? Du erzählst nicht gerade viel davon, was du in Belfast so getrieben hast.«
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
    McSorley entfuhr ein heiseres Lachen. »Ja, klar. Jede Wette.«
    Sein Gesicht nahm eine ungesunde Farbe an, als sie ins Dorf einfuhren und die Straßenlaternen sie in orangefarbenes Licht tauchten. »Ich habe da eine Geschichte über dich und irgendeinen anderen Burschen gehört, der
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