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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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fallen und riss sich die Wollmütze vom Gesicht.
    »Hilfe! Hilft mir denn keiner? Hilfe!«
    Mit einer unbändigen, lodernden Wut prügelte Campbell so sehr auf den Kopf des alten Mannes ein, dass McSorley ins Wanken geriet. Mit jedem Schlag schwoll sein Zorn an, bis der Alte nur noch ein Häufchen Elend war, das reglos über der Lade hing.
    »Davy!«
    Campbell schlug dem Alten die Faust in den Magen. »Mein Gott, Davy, hör doch auf!« Er trat dem Alten gegen das Knie.
    McSorley packte Campbells Handgelenk und riss ihn zurück. »Das reicht, Davy. Komm jetzt.«
    Campbell riss McSorleys Arme los und wirbelte zu ihm herum. »Was glaubst du eigentlich, was ich bin?«
    McSorley machte einen Satz zurück und hob die Arme.
    »Was glaubst du, was ich bin? Häh? Ein Ladendieb?«
    »Davy, jetzt beruhig dich mal.« McSorley zog sich die Wollmütze vom Kopf.
    »Ein Junkie auf Klau? Glaubst du, ich bin extra hier heruntergekommen, um alten Männern ein paar blöde Zigaretten zu stibitzen?«
    McSorley mahlte mit den Kiefern, seine Augen waren nur noch schwarze Punkte mit weißen Kreisen.
    »Ihr bescheuerten Amateure!« Campbell drehte sich auf den Hacken um und riss die Tasche vom Boden hoch. Er warf sie in den Laderaum des Lieferwagens und verstaute danach den Alten. »Verdammte Scheiße«, knurrte er.
    Ohne zu fragen, setzte er sich auf den Fahrersitz und ließ den Motor an. McSorley kletterte auf den Beifahrersitz und ließ ihn nicht aus den Augen.
    Sie fuhren schweigend. McSorley warf dem Schotten verstohlene Seitenblicke zu, während Campbell an das Loch in McKennas Kopf denken musste und an den Mörder, dessen Leben mit Sicherheit verwirkt war.

Michel McKennas großes Haus am Stadtrand wollte nicht so recht zum sozialistischen Programm der Partei passen, deshalb überraschte es Fegan nicht sonderlich, dass die Totenwache woanders gehalten wurde. Ihren Respekt zollten die Leute McKenna nun stattdessen im Reihenhaus seiner Mutter in Fallswater Parade, einer kleinen Vier-Zimmer-Hucke aus rotem Backstein. Sie stand in einer Zeile mit lauter identischen Häusern kurz vor dem unteren Ende der Fallswater Road, einer Lebensader der republikanischen Bewegung in Belfast. In der schlimmen Zeit hatte man diesen Teil der Stadt mit Beirut verglichen. Fegan war die Straße immer vorgekommen wie sein Nachhauseweg, weil sie zu der Stelle führte, wo die Springfeld Road und die Falls zusammentrafen, dort hatte früher das Haus seiner Mutter gestanden.
    Beim Näherkommen versuchte Fegan die Männer zu zählen, die den kleinen, ummauerten Garten bevölkerten. Sie standen bis auf die Straße, rauchten, lachten und erzählten miteinander. Als er über zwanzig gekommen war, gab er auf. Er drängte sich an ihnen vorbei, erwiderte hier und da ein respektvolles Nicken und murmelte einen Gruß. Die meisten der Männer kannte er, alles harte Burschen, von denen er keinen mochte. Sie stammten aus allen Ecken von Belfast: Andersonstown, Poleglass, Turf Lodge, einige auch aus den republikanischen Enklaven im Norden der Stadt und aus Lower Ormeau. Fegan erkannte auch ein paar Gesichter von außerhalb, aus Orten wie Derry und South Armagh. Einige trugen dem Ernst des Anlasses gemäß Hemden und Krawatten, die übrigen aber dieselben Alltagsklamotten wie an jedem anderem Nachmittag.
    Fegan bemerkte einen jungen Mann, der ihn aus dem Wohnzimmerfenster des Nachbarhauses anstarrte. Vielleicht war es ja der Eigentümer des Volvo Estate, auf dessen Haube sich einige der Burschen niedergelassen hatten. Nicht, dass er sich beschwert hätte. Als er erkannte, dass er bemerkt worden war, ließ er die Gardine hinter dem Fenster fallen. Fegan überlegte, wie viele der neueren Anwohner diese Zusammenkunft wohl misstrauisch beäugen mochten. Der Immobilienboom hatte die Angehörigen der jungen Mittelklasse in Stadtteile getrieben, die sie zuvor nie in Erwägung gezogen hatten, und Ruheständler, die in ihrem ganzen Leben kein Geld gesehen hatten, besaßen plötzlich ein finanzielles Polster um die Hunderttausend, das ihnen den Lebensabend versüßte.
    Fegan ging hinein. Der schmale Flur war voll mit Trauernden, und je weiter er in das Haus eindrang, desto mehr musste er gegen das Gefühl ankämpfen, zu ertrinken.
    »Gerry!« Durch ein Dickicht aus schwarzem Leder und grüngestreiften keltischen Hemden winkte ihm eine schmächtige ältere Dame zu.
    Fegan zwängte sich durch die Leiber, bis er bei ihr war. »Mrs. McKenna. Es tut mir so leid für Sie.«
    Sie streckte sich,
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