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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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Scheiße«, sagte McKenna. »Tut das weh?«
    »Was glaubst du denn?«, fragte Fegan.
    »Sieht auch so aus. Sollen wir uns später treffen?«
    »Weshalb?«, fragte Fegan.
    McKenna zog die Stirn in Falten und scharrte mit den Füßen. »Nur so aus Spaß.«
    Fegan dachte einen Augenblick darüber nach. So etwas machte er eigentlich nicht. Aber warum es nicht einfach mal probieren? »Na gut«, sagte er.
    In diesem Sommer fand er viele Freunde. Seiner Mutter gefiel das nicht. Sie erinnerte Fegan daran, dass McKennas älterer Bruder wegen Waffenbesitzes in Long Kesh eingesperrt war. Fegan scherte sich nicht darum. Es war schön, Freunde zu haben.
    Die meisten dieser Freunde befanden sich nun gerade im Haus von McKennas Mutter und tauschten Geschichten über die alten Zeiten aus, von denen Fegan ums Verrecken nichts hören wollte. Er trat vom Sarg zurück und bekreuzigte sich noch einmal.
    Das Flüstern im Raum wich einer vollkommenen Stille. Fegan hörte seinen eigenen Atem und spürte jemanden hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er im Türrahmen eine aschblonde, blasse Frau, groß und gertenschlank. Sie trug einen einfachen, aber eleganten Hosenanzug und eine weiße Bluse. Als sie näher kam, trat Fegan zur Seite.
    Sie streckte ihre Hand nach dem Sarg aus und hielt erst inne, als ihre Finger nur noch um Millimeter von der glänzenden Oberfläche entfernt waren. Ihre graublauen Augen waren auf etwas gerichtet, das Fegan nicht sehen konnte, etwas weit Entferntes. Ein schmerzhafter Hauch fuhr in sein Herz, und er fragte sich, ob sie wohl weinen würde in der Erinnerung an den Mann in dieser Kiste. Als sie wieder bei sich war, atmete sie einmal tief durch. Dann blinzelte sie kurz und hauchte fünf Worte. Fegans Schmerz verwandelte sich in etwas Dunkleres, als er ihre Lippenbewegungen verfolgte.
    Du verdienst es nicht anders.
    Als sie sich vom Sarg abwandte, trafen sich ihre Blicke, und sie erstarrte, wie gelähmt von der Erkenntnis, dass Fegan ihre Worte verstanden hatte.
    Sie haben recht, hätte er ihr gern gesagt. Er hat bekommen, was er verdient hat. Doch stattdessen deutete er nur ein Nicken an.
    Ihre Wangen erröteten, und sie eilte zur Tür. Dort stand eine von McKennas drei Schwestern und beobachtete die blonde Frau. Als Fegan den Hass in Bernie McKennas Augen sah, wusste er, wer die Frau war.
    Marie McKenna, die Tochter von Patrick und Bridget McKenna und Nichte des verstorbenen Michael McKenna. Vor sieben Jahren, ungefähr um die Zeit, als Fegan zum ersten Mal Bekanntschaft mit seinen Verfolgern machte, hatte Marie McKenna ihre Familie schockiert, indem sie ein Verhältnis mit einem Polizeibeamten der Royal Ulster Constabulary eingegangen war. Schlimmer noch, es war ein katholischer Polizist gewesen, und dies zu einer Zeit, wo es noch als Verrat gegolten hatte, in die Polizei einzutreten. Schon vorher hatte sie bei vielen Republikanern keinen besonders guten Ruf genossen, weil sie für eines der Blätter der Unionisten schrieb. Den Telegraph oder den Newsletter, Fegan wusste nicht mehr, welches es gewesen war. Aber eine Liebesgeschiente mit einem Verräter hatte sie endgültig mit allen außer ihrer Mutter entzweit.
    Weder übles Gerede noch Verstoßen, nicht einmal Morddrohungen gegen die beiden hatten sie entzweien können. Eine Schwangerschaft dagegen schon. Als nach zwei Jahren Beziehung Maries Bauch anschwoll, empfahl sich der Bulle und verschwand. Bridget McKenna zuliebe wurde Marie widerwillig wieder in die Familie aufgenommen. Wenn sie das freundlich gemeinte Angebot angenommen hätte, den stiften gegangenen Vater ausfindig zu machen, hätte man die Arme für sie womöglich ein wenig weiter ausgebreitet. Aber so blieb sie ein Paria.
    In Fegans Augen waren ihr die Einsamkeit und Isolation ins Gesicht geschrieben, ebenso wie ihm die seine. Der Schmerz in seinem Herzen kehrte zurück, schwerer als zuvor.
    Marie hielt den Blick vor sich gerichtet, als sie das Zimmer verließ. Ihre Tante warf ihr einen finsteren Blick zu, als sie an ihr vorbeikam. »Miststück«, fauchte sie ihr hinterher. Einige verdrehten die Köpfe und verfolgten ihren Weg durch die dichtgedrängten Leiber im Flur. Getuschel durchschnitt die schwülwarme Luft.
    Fegan verspürte den ebenso unerklärlichen wie unwiderstehlichen Drang, ihr zu folgen. Einen Augenblick lang widerstand er ihm, doch dann wurde er unwillkürlich zur Tür und in den Flur gezogen, wo er sich denselben Weg durch die Menschenmenge bahnte wie sie eben erst. Obwohl er
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