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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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für den Mord an drei unschuldigen Menschen beim Bombenanschlag auf den Metzgerladen in Shankill und seiner Entlassung zwölf Jahre später hatte die Welt sich verändert.
    Südlich der Grenze, in der Republik Irland, war der alte provinzielle Geist verschwunden, weggeweht vom Geld und der neuen Vorstellung des Landes von sich selbst. Der Norden war zu einem armen Verwandten geworden, einem Bankert, den wegzuschicken niemand das Herz aufbrachte. Der Kampf um die Wiedervereinigung des Nordens mit dem Rest von Irland war eigentlich gegenstandslos geworden.
    Der Rest von Irland wollte sie überhaupt nicht mehr.
    So kam es, dass die Sehnsucht nach Freiheit, was auch immer das sein mochte, der Sehnsucht nach Geld und Macht wich. Die paramilitärischen Gruppen beider Seiten, ob Republikaner oder Loyalisten, hielten die Fassade ihrer politischen Ideale zwar noch aufrecht, aber Fegan kannte die Wahrheit. Manchmal beschlich ihn tief in seinem Innern die Frage, ob er die wahren Motive von Männern wie Michael McKenna und Paul McGinty nicht eigentlich schon immer erkannt hatte.
    Er sah wieder auf seine neun Verfolger, die um ihn herumstreunten, die drei Briten und zwei Loyalisten, den Polizisten, den Metzger und die Frau mit ihrem Baby. Worum ging es hier eigentlich? Nur darum, McGinty die Taschen zu füllen?
    Die Frau starrte McGinty an, ebenso der Metzger, der zusammen mit ihr gestorben war. Langsam hoben sie die Hände und formten sie zu Pistolen. Die Frau drehte sich um und schaute Fegan an. Ihr matt lächelnder Mund sah jetzt aus wie eine Messerwunde.
    Sie nickte.
    Fegan sperrte protestierend den Mund auf und schüttelte den Kopf.
    Sie nickte noch einmal. Am liebsten hätte Fegan sich auf dem Absatz umgedreht und wäre weggerannt. Er schloss die Augen und versuchte, die Verfolger aus seinem Bewusstsein zu drängen. Grelle Schmerzensblitze zuckten zwischen seinen Schläfen. Er biss die Zähne zusammen und stemmte sich dagegen, aber die Schimären ließen sich nicht vertreiben. Schnaufend atmete er aus und gab sich geschlagen. In dem resignierten Bewusstsein, dass seine Verfolger noch da sein würden, öffnete er die Augen.
    Und sie hatten noch mehr für ihn.
    Pater Coulter näherte sich.
    Die drei Briten beobachteten ihn, wie er durch die Menge schritt und den Trauernden die Hände schüttelte. Der Priester war ein vierschrötiger Mann mit störrischem graumeliertem Haar. Bestimmt stammt er ursprünglich aus Sligo, dachte Fegan. Die Arme der Briten erhoben sich und zielten auf Pater Coulter. Warum um Himmels willen wollten sie denn ihn?
    Und plötzlich fügte sich alles zusammen, eine Erinnerung an die andere. Fegan wusste es. Während die Sonne auf seinen Nacken brannte, schloss er die Augen und erinnerte sich.
     
    Die gesamte Familie, drei Mädchen und ihre Eltern, schrie auf, als die Explosion ihre Fensterscheiben klirren ließ. Sie hatten sie oben aneinander gefesselt, in sicherer Entfernung von allem Glas, das vielleicht zu Bruch gehen würde. Daraufhatten Fegan und Coyle extra geachtet. Als das Donnern über den Häuserdächern verhallte, wurde es ganz still. Dann hörte man von der Straße draußen ein Stöhnen. Aus dem Stöhnen wurde Heulen und aus dem Heulen Schreien.
    Fegan spähte durch den Türspalt. Dann sah er Coyle an. »Du hast sie nicht alle erwischt.«
    »Scheiße«, fluchte Coyle. »Und was machen wir jetzt?«
    »Sag du es mir. Du hast die Bombe gelegt, du hast sie ausgelöst. «
    »Sollen wir rausgehen und sie kaltmachen?« In Coyles Stimme schwang schon die Panik mit.
    Fegan zog die Pistole aus der Tasche und hielt sie ihm mit dem Griff zuerst hin.
    »Nein, verdammt!«, wehrte sich Doyle. »Ich kann das nicht. Mach du es.«
    »Herrgott noch mal«, rief Fegan. »Aus zwanzig Metern Entfernung bist du der Größte, aber näher traust du dich nicht ran.«
    »Ich habe meinen Teil erledigt.«
    »Aber nicht besonders gut.« Fegan nickte in Richtung Tür. »Hör sie dir mal an.«
    »Die müssen sich getrennt haben. Woher sollte ich wissen, dass sie sich getrennt hatten?«
    »Die gehen immer in zwei Dreiergruppen. Du hättest warten sollen, bis die ersten drei vorbei und die anderen drei kurz davor waren. Dann hättest du sie alle erwischt.«
    »O Gott, was sollen wir denn jetzt machen?«, fragte Coyle mit weinerlicher Stimme.
    Fegan seufzte und zog sich seine Mütze übers Gesicht, die nur die Augen und den Mund freiließ. Coyle machte dasselbe und folgte Fegan hinaus auf die Straße. Sie rannten auf die

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