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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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mit der er den Wagen finanzierte. Aber wozu eigentlich die ganze Plackerei, wenn er sowieso nichts davon hatte?
    Es war eine gute Frage, eine, die er sich ständig stellte. Er war jetzt 38 Jahre alt, und die letzten fünfzehn davon waren eine einzige Lüge gewesen. Zugegeben, das Schwindlerdasein bereitete ihm durchaus auch ein gewisses abseitiges Vergnügen. Das ständige Risiko aufzufliegen übte einen seltsamen Reiz auf ihn aus, und ganz ohne Zweifel lag eine abgründige Faszination darin, wenn alle um einen herum einem die falsche Identität abkauften. Aber das konnte doch nicht alles sein.
    Schon viele Nächte hatte er auf irgendwelche Decken gestarrt und diese Frage in seinem Kopf hin und her gewälzt, aber jedes Mal, wenn er der Antwort nahekam, hatte er lieber die Augen davor verschlossen. Eines Tages würde er vielleicht die Kraft haben, der Wahrheit über sich selbst ins Auge zu sehen.
    Als David Campbell mit zwanzig in das Black Watch Royal Highland Regiment eingetreten war, hatte er nicht die geringste Vorstellung davon gehabt, wohin sein Leben ihn führen würde. Er hatte einfach denselben Weg gewählt wie so viele andere junge Männer aus Glasgow und haargenau gewusst, dass er sich damit irgendwann in Belfast wiederfinden, auf den Straßen patrouillieren und sich vor Flaschen und Steinen wegducken würde. Als ihm zum ersten Mal eine Frau auf die Stiefel gespuckt hatte, war er wie angewurzelt stehengeblieben und hatte sie entgeistert angestarrt.
    »Einfach ignorieren, Junge«, hatte der Sergeant ihm von hinten zugerufen.
    Seitdem hatte sich Belfast vollkommen verändert. Erst vor einer Stunde war Campbell in die Stadt zurückgefahren und beeindruckt gewesen von den vielen Kränen, die die Skyline beherrschten. An jeder Ecke von Belfast ragten diese stählernen Signale des Wohlstands auf: im Westen, wo die Macht der Republikaner am stärksten war, im Osten, wo die Loyalisten Hof hielten, im Süden, wo schon immer die Reichen der Stadt gelebt hatten, und sogar im Norden, wo Protestanten und Katholiken noch immer um jeden Zentimeter Boden kämpften.
    Die unsichtbaren Grenzen in der Stadt waren dieselben geblieben wie die, als Campbell vor achtzehn Jahren zum ersten Man mit dem Gewehr in der Hand durch die Straßen gelaufen war. Immer noch bereicherten sich zwielichtige Gestalten an dem Unheil, das sie selbst schufen, und machten die Gräben tiefer, wo immer sie konnten. Aber die Stadt war fett geworden und hatte gelernt, ihre Narben zu verbergen, wenn es notwendig war, und herzuzeigen, wenn es Vorteil brachte.
    Campbell wandte sich vom Fenster ab, ging zurück in das einzige Schlafzimmer und verstaute den Inhalt seiner Reisetasche in einer Kommode. Ein bunter Fetzen erregte seine Aufmerksamkeit. Zwischen den abgetragenen Sachen, der Pistole und den losen Patronen lag da sein roter Federbusch. Er nahm ihn und strich mit den Fingern über die flaumweichen Federn. Es war schon lange her, dass er die traditionellen Insignien der Black Watch hatte tragen können.
    Fünf Tage nach seinem dreiundzwanzigsten Geburtstag - Campbell hatte kaum mehr drei Jahre Dienstzeit vor sich - war er zum Kommandanten gerufen worden. Lieutenant Hanson war ein ruppiger Mann mit zerknitterten Gesicht, der jedem unter seinem Kommando Furcht einflößte. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch klopfte Campbell an die Tür.
    »Herein«, brüllte von drinnen eine Stimme mit starkem und breitem schottischen Akzent.
    Campbell öffnete die Tür, trat ein, schloss die Tür wieder, ohne dem Colonel den Rücken zuzukehren, trat fünf Schritte vor, schlug die Hacken zusammen und grüßte. Von seinem Schreibtisch aus grüßte der Colonel lässig zurück. Campbell hielt den Blick unverwandt nach vorn gerichtet und ignorierte den dritten Mann im Raum.
    »Sie können sich setzen.« Der Colonel wies auf einen leeren Stuhl vor ihm. Campbell gehorchte.
    »Glückwunsch zu Ihrer Beförderung, Corporal«, sagte Colonel Hanson.
    »Danke, Sir.«
    »Ich komme gleich zur Sache. Haben Sie schon mal was von der Fourteen Intelligence Company gehört.«
    »Nur gerüchteweise, Sir«, antwortete Campbell. Seine Nervosität wuchs an. Die Fourteen Intelligence Company war eine der SAS angegliederte, verdeckt operierende Einheit. Offiziell existierte sie überhaupt nicht, aber jeder wusste davon. Die Fourteen Int erledigte die Drecksarbeit, die Sachen, für die sich keiner zuständig fühlte, Sachen, für die ein normaler Mensch ins Gefängnis gekommen wäre.
    »Dann

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