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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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erinnern konnte. Über dem Friedhof ragte der Black Mountain auf, seine zerklüfteten Hänge gleißten hart in der Maisonne. Pater Coulter leierte am Grab seine Worte herunter, begleitet von höflichem Hüsteln und leisem Weinen.
    Fegan sah sich auf dem Friedhof um. Es war eine ansehnliche Trauergemeinde, ein paar hundert Leute, aber nicht so viele, wie er erwartet hatte. Manche hatten es vorgezogen, wegzubleiben. Als die Trauenden sich versammelren, hatte Fegan einige gemurmelte und geflüsterte Kommentare mitbekommen. Einige nannten es eine Beleidigung, einen Schlag ins Gesicht. Gewisse Leute, gewisse Politiker hätten sich blicken lassen und den Sarg tragen oder wenigstens mit feierlicher Miene am Grab stehen sollen. Ihre Abwesenheit klaffte wie eine offene Wunde.
    Fegan ließ seinen Blick über die Menge schweifen und hielt Ausschau nach dem Aufblitzen eines aschblonden Haarschopfs und einer großen, schlanken Figur. Irgendwo musste sie sein, aber sie blieb auf Abstand. Wieso juckte ihn das überhaupt?
    »Weiß der Himmel«, murmelte er zu sich selbst.
    Er zog ein Taschentuch heraus und tupfte sich damit die Stirn und den Nacken ab. Seine Augen waren trocken, die Lider schwer, und sein Schädel fühlte sich an wie mit Sand gefüllt. Die Bullen hatten ihn bis neun Uhr früh dabehalten, und er hatte kaum zwei Stunden Schlaf bekommen, bevor er schon wieder für die Beerdigung aufstehen musste. Die Ruhe hatte er genossen, aber sie hatte nicht lange genug gewährt.
    Ein dumpfer Schmerz lauerte in seinen Schläfen, und aus den Augenwinkeln nahm er die Bewegung der Schatten war. Er ignorierte sie. An einem solchen Ort und unter solchen Leuten war nichts anderes zu erwarten, als dass Schimären sich versammelten und die Lebenden heraussuchten, daran hatte Fegan keinen Zweifel. Er fragte sich nur, wie lange er sie von sich fernhalten konnte.
    Bisher war ihm das Glück hold gewesen. Aber wenn es ums Töten ging, hatte er ja schon immer Glück gehabt. Er hatte den Bogen einfach raus. Der Aufstand gestern Abend hatte ihm die perfekte Tarnung geliefert. Wenn das Glück ihm treu blieb, würde die Sache vielleicht sogar als Unfall durchgehen. Den Ziegelstein hatte er in eine Tonne fünf Straßen weiter geworfen und dann die improvisierte Bombenwerkstatt entdeckt. Er hatte sich eine der Flaschen genommen und mit dem Benzin die Handschuhe verbrannt.
    Dann war er zur Springfield Road zurückgekehrt, damit man ihn sah, weit weg von Caffolas Leiche. McGinty verhandelte bereits vor laufenden Kameras mit einem Polizeivorgesetzten, der Mann des Friedens, der zum wiederholten Male auf der unruhigen Straße die Ordnung wiederherstellte. Aber nicht für lange. Kaum hatten die Bullen auf der Suche nach Molotowcocktails Caffolas Leiche entdeckt, brach die Hölle los.
    Fegan verbrachte den Rest der Nacht in Gesellschaft der Polizei. Ihr Verhör war nur halbherzig und oberflächlich gewesen. Vincie Caffola weinten sie keine Träne nach, und Fegan bezweifelte, dass sie sich bei der Aufklärung besonders ins Zeug legen würden. Als er die Wache verließ, hatte er nicht die Befürchtung, wegen des Mordes an Caffola angeklagt zu werden.
    jetzt stand er auf dem windigen Friedhof und hielt sich die Hand vor den Mund, um zu gähnen. Der Druck in seinem Kopf nahm zu, er trat von einem Fuß auf den anderen, um nicht ohnmächtig zu werden. Frostschübe rollren durch seinen Körper, er verschränkte fest die Arme vor sich.
    Pater Coulters Trauerpredigt war vorbei, nun war die Politik an der Reihe. Neben dem Grab war ein Podest aufgebaut, auf dem jetzt zwei Männer mit einer Fahne Posten bezogen, auf der stand: Den Frieden schaffen, die Zukunft schaffen. Ein dritter mit einem tragbaren Verstärker samt Mikrofon gesellte sich zu ihnen. Fegans Unterleib zitterte vor Kälte. Er wusste, wer als Nächstes kam.
    Paul McGinty, 55 Jahre alt, großgewachsen und gutaussehend, betrat das Podium. In der Menge wurde geraunt und geflüstert; eigentlich hätte dort doch einer der Parteioberen stehen und den Dahingeschiedenen preisen und in den Himmel heben sollen. Doch stattdessen starrte jetzt McGinty mit grimmiger Miene die Trauernden an. Die Brise zerzauste sein Haar, während er mit federnden Händen den Applaus zu beenden versuchte. Sein Assistent hielt ihm das Mikrofon vor den Mund.
    Wie es üblich war, begrüßte er die Menge obligatorisch auf Gälisch. Einige liebten die Muttersprache Irlands, andere nicht. Fegan scherte sich nicht um Worte, sie sagten ihm

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