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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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ihn an. »Erzählen Sie mir von ihm.«
    Fegan sah wieder diesen Gesichtsausdruck. Den hatte sie auch tags zuvor im Wagen gehabt. Es war der, mit dem ihn auch Psychologen wie Dr. Brady durchbohrt hatten, wenn sie wollten, dass er alles ausspuckte. Auf der Malone Road kamen Lastwagen und Busse vorbei. Die drei erreichten den Eisenzaun des Methodist College. Die Fenster der Privatschule funkelnden golden im Licht der untergehenden Sonne. Fegan rang mit sich. Ein Teil von ihm wollte sich weiter verbergen, ein anderer sich öffnen.
    Er ergab sich.
    »Er hieß Ronnie Lennox. Ein Protestant, er gehörte zu den Loyalisten. Eigentlich war er gar kein richtiger Ausbilder, nur ein alter Knabe, der nichts Besseres zu tun hatte. Es kam, nachdem meine Mutter gestorben war, nicht lange nach dem Abkommen von 1998. Ich wollte nicht mehr mit den anderen Jungs rumhängen, die ständige Streiterei und Brüllerei war mir zuwider. Also bin ich immer länger in der Werkstatt geblieben. Das Maze war nicht wie ein normales Gefängnis, man konnte so ziemlich tun und lassen, was man wollte.
    Eines Tages waren nur noch wir beide und ein Wärter in der Werkstatt. Der Wärter döste in einer Ecke. Ich baute gerade ein Schränkchen für meine Zelle und wollte den Korpus mit Schwalbenschwanzverbindungen zusammenfügen.« Fegan sah auf die Narbe an seinem linken Daumen. »Dabei habe ich mich geschnitten, und Ronnie kam rüber, säuberte die Wunde und machte mir ein Pflaster drauf. Dann zeigte er mir, wie man eine Bogensäge richtig benutzt. Wir kamen ein wenig ins Gespräch. Die ganze Zeit hustete er. Er hatte eine Asbestvergiftung von der Werft. Eigentlich hätte er bei dem ganzen Staub gar nicht in der Werkstatt sein dürfen, aber im Block der Loyalisten hat er es nicht ausgehalten. Es machte ihm großen Spaß, einem etwas beizubringen. Wenn man anfing, mit ihm über Stifte und Dübel zu reden, fand er kein Ende mehr.«
    Fegan bemerkte Maries amüsierten Gesichtsausdruck. »Was ist?«, fragte er.
    »Gar nichts« sagte sie, und ihr Gesicht strahlte. »Nur dass ich Sie das erste Mal wirklich habe lächeln sehen, das ist alles.«
    Fegan hüstelte. »Ronnies ganze Leidenschaft galt Gitarren. Er spielte wunderbar. Nicht wie die Typen in den Pubs, die nur ein paar alte Lieder herunterschrammeln, er spielte richtig. Es war, als würde er zu einem sprechen.«
    Fegan merkte, dass er mit der freien Hand in der Luft gestikulierte und ließ sie sinken. »Ein paar von den Wärtern hatten Söhne, die auch spielten. Sie brachten ihm ihre Gitarren, damit er sie aufarbeitete. Wenn er eine einfache Klampfe in den Fingern gehabt hatte, klang sie, als ob sie einen Tausender gekostet hätte.«
    »Wo ist er jetzt?«, fragte Marie.
    »Tot. Der Asbest hat ihn gekriegt. Er hatte Wasser in der Lunge. Zwei Wochen später wäre er entlassen worden.«
    »Ach Gott«, sagte Marie. »Das tut mir leid.«
    Fegan zuckte die Achseln. »Er hat mir immer von einer Gitarre vorgeschwärmt, die er bei sich zu Hause stehen hatte. Einer Martin D-Z8 aus den Dreißigern. Eine echte Herringbone, hat er mir erklärt. Er erzählte immer, dass er sie restaurieren würde, sobald er rauskam. Das hat ihn bei der Stange gehalten.
    Vor ungefähr anderthalb Jahren hat dann eine Frau an meine Tür geklopft. Sie stellte sich als Ronnies Tochter vor. Dann gab sie mir einen Gitarrenkoffer, ganz verschrammt und kaputt. Sie sagte mir, Ronnie hätte ihr vor seinem Tod gesagt, dass ich ihn bekomme sollte. Die ganze Zeit hatte sie versucht, mich zu finden. Es war die Martin. Ich restauriere sie gerade. Bin schon fast fertig.«
    Sie erreichten das Ende der Malone Road, wo sie auf die University Road und den Endpunkt der Stranmillis Road traf. An einem Fußgängerüberweg blieben sie stehen.
    »Und was wollen Sie dann damit machen?«, fragte Marie.
    Fegan wurde rot. »Ich will lernen, wie man darauf spielt.«
    »Gut«, sagte sie und nickte. »Sagen Sie, weswegen war Ronnie eigentlich im Maze?«
    Fegan blickte über die Straße hinweg zum Ulster-Museum, dessen schmucklose Fassade den blauen Himmel entstellte. »Er hat einem Mann die Kehle durchgeschnitten. Einem Katholiken, der in die falsche Bar gegangen ist. Als Ronnie es mir erzählte, hat er geweint.«
    Marie schwieg. Sie schauten auf die Ampel über dem Fußgängerüberweg und warteten darauf, dass sie gehen durften.
    Nicht weit entfernt erhob sich der große, aus roten Backsteinen erbaute, schlossartige Bau der Queens University, umgeben von einem weichen

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