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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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applaudierten, während er sich das Jackett glattstrich. Er trug immer noch seinen schwarzen Anzug, hatte aber die Krawatte in die Tasche gesteckt.
    »Ich bin aber viel höher gesprungen als du«, sagte Ellen.
    Dagegen konnte Fegan nichts sagen. »Du hast gewonnen.«
    Sie strahlte abwechselnd ihn und ihre Mutter an, dann machte sie auf den Hacken kehrt und lief die Eglantine Avenue hinab, in östliche Richtung auf die Malone Road zu. Einmal drehte sie sich noch um und versprach, nicht zu weit vorauszulaufen, so wie ihre Mutter es verlangt hatte. Fegan und Marie folgten ihr.
    »Ein wunderschöner Abend«, sagte Marie. Bäume säumten die Straße, und die Abendsonne hinterließ Muster auf ihrer Haut. »Man vergisst immer, wie schön Belfast sein kann. Alles, was es braucht, ist ein bisschen Sonne.«
    Die alten Häuser auf der Eglantine Avenue schimmerten rot. Einige waren in besserem Zustand als andere. Manche wie das von Marie hatte man in Wohnungen aufgeteilt. In anderen hausten Studenten oder Gastarbeiter, wieder andere boten Praxisräume für Zahnärzte oder Anwälte. Die Straße verlief zwischen der Lisburn und der Malone Road, doch es schien beinahe so, als dämpfe die sanfte Maiwärme den Verkehrslärm zu beiden Seiten.
    »Ellen sieht Ihnen unglaublich ähnlich«, sagte Fegan. »Das sagen alle. Sie ist jetzt schon in Sie vernarrt.«
    »Glauben Sie?«
    »Aber ja.« Marie lächelte. »Für dieses Mädchen gibt es nur totale Zuneigung oder totale Ablehnung. Sie liebt Hunde und hasst Katzen. Sie liebt Erbsen und hasst Möhren. Bei Leuten ist es genauso, aber ich glaube, Sie sind auf der guten Seite gelandet. Das war sehr schlau, ihr zu sagen, wie gut sie springt. Jetzt haben sie eine Freundin fürs Leben.«
    »Wo ist ihr Vater abgeblieben?«, fragte Fegan.
    »Ach, der treibt sich irgendwo herum«, antwortete Marie. »Zu Weihnachten schickt ihr immer ein bisschen Geld. Davon abgesehen habe ich seit Jahren nichts mehr von ihm gehört.«
    »Ist bestimmt nicht einfach, wenn man allein zurechtkommen muss.«
    An der Ecke zu Eglantine Gardens wartete Ellen darauf, dass die Erwachsenen sie über die Straße brachten. Fegan verspürte ein leichtes Kribbeln, als sie statt der Hand ihrer Mutter seine nahm.
    »Manchmal schon«, antwortete Marie, während sie die Straße überquerten. »Aber wir sind ohne ihn besser dran.«
    Auch als sie die andere Seite erreicht hatten, ließ Ellen seine Hand nicht los, sondern umklammerte mit ihrer kleinen Faust seinen Zeige- und Mittelfinger. Am liebsten hätte er ihr gesagt, sie solle loslassen. Wusste sie denn überhaupt, was diese Hände schon alles angerichtet hatten. Er war sich sicher, wenn sie sie zu lange festhielt, würde sie in den kleinen Hautrillen Reste von Blut finden.
    »Bei der Zeitung verdiene ich ganz anständig«, erzählte Marie weiter, »und die meiste Zeit kann ich von zu Hause aus arbeiten, also muss ich nicht so viel für Kinderbetreuung ausgeben und jetzt erst recht nicht mehr, wo sie schon in die Schule geht. Jack hat gewusst, was ich für ihn aufgab, aber er hat mich trotzdem betrogen. Ellen braucht keinen Mann, der so etwas macht. Und ich auch nicht.«
    Ich habe viel schlimmere Sachen gemacht, dachte Fegan. Marie schien es ihm im Gesicht abzulesen. Ihr Lächeln welkte dahin, und sie blickte starr nach vorn.
    Schweigend liefen sie über die Malone Road und dann nach Norden in Richtung der Queens University. Dieser Teil der Stadt war Fegan fremd, eine Million Meilen entfernt von dem Belfast, das er kannte. Prachtvolle Häuser und Privatkliniken säumten die Malone Road, geschützt von hohen Mauern mit elektrischen Toren.
    »Sind Sie auf die Queens gegangen?«, fragte Fegan.
    »Nein, auf die Jordanstown. Aber ich bin früher öfter zu den Treffen der Studentenvereinigung hergekommen. Ist schon lange her, aber besonders hat es sich nicht verändert. Sind Sie zur Universität gegangen?«
    Da merkte sie, was für eine dumme Frage das war.
    Fegan zuckte die Achseln. »Bin irgendwie nie dazu gekommen.«
    Sie nickte. »Und im Maze? Haben Sie da irgendetwas gelernt?«
    »Tischlern«, antwortete Fegan. »Eine Menge von den Jungs haben ihren Abschluss gemacht. Politische Wissenschaft, Geschichte, solche Sachen. Sie haben dort eine bessere Ausbildung erhalten als je bei den Christlichen Brüdern. Mein Vater war Zimmermann, also habe ich mir gedacht, ich probiere das auch mal aus.«
    »Und können Sie was?«, fragte Marie. »Ein bisschen. Ich hatte einen guten Lehrer.« Sie sah

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