Die Schatten von La Rochelle
ein letztes Mal.
» W o ist Euer Vater, Ni c ht e ?« f r a g te der Bischof Marie, als er das Krankenzi mm er verließ. Sie war j e tzt zwölf, alt genug, um nicht m ehr wie ein Kind geduzt zu werden.
»Bei der königlichen Ar m ee«, entgegnete sie tonlos. Er schwieg; das königliche Heer, das die Aufga b e hatte, Condé zu besiegen, war nicht allzu weit, und H enri, der ebe n falls dort diente, hatte bereits einen kurz e n Urlaub genom m en. Aus Loyalit ä t f ügte sie hinzu: »Sie hat gesagt, sie will nicht, daß er sie sterben sieht.«
»Es ist auch nichts, was ein Kind sehen sollte«, sagte er ernst.
»Ich bin kein Kind m ehr.«
Dennoch konnte sie ihren Vater ver s tehen: S i e wäre während der entsetzlichen siebzehn Tage, die d e r Todeskampf ihrer Mutter dauerte, froh ge w esen, weit fort zu sein. Aber sie verli e ß Franç o ise n u r, um zu schlafen, und ein m al, als es Margot gelang, sie zu einem Spaziergang zu überreden.
Françoises Brüder konnten nicht bleiben, bis das Ende gekomm e n war, doch während der Nächte davor, in denen Marie neben dem Bischof von Luçon vor dem Bett ihrer Mutter kniete und betete, glaubte sie m anch m al t atsächlich, es könnte ihm gelingen, Gott das Leben ihrer Mutter noch ein m al zu entreißen.
An dem Tag, als Fra n çoise zu Grabe getra g en wurde, sah M arie i h re Groß m utter zum ersten m al weinen, und der Anblick erschreckte sie fast so sehr wie das lange Ste r ben ihrer Mutter. Erst jetzt be m erkte sie, daß Grand m ère Suzanne s e lbst nicht sehr gesund aussah.
Die Nachricht, daß ihr Sohn A r m a nd von der Königin m utter und Concini zum Minister für Äußere Angelegenheiten ge m acht worden war, richtete Suzanne de La Porte noch ein m al auf, aber nur ein paar Tage nachdem der Kurier eingetroffen war, starb sie. Dieses Ereignis f ührte Ma r i e s Vater zum ersten m al s e it lan g er Zeit zu seinen Kindern zurück.
»Ich weiß n icht, was jetzt aus euch werden soll«, sagte er in aufrichtiger Verwirrung. »Ich werde wohl wieder heiraten m üssen.«
Natürlich hätte sich Suzannes unver h eiratete Tochter Nicole um sie küm m ern können, doch Nicole, die scheue, unpraktische Nicole, brauchte, wie jed e r in d er Fa m ilie wußte, sel bs t je m anden, der s ich um sie küm m erte. Das Opfer einer neuen Ehe wurde dem Sieur de Pont-Courlay von Henris G e m ahlin Marguerite abgenom m e n, die ein großzügiges Naturell besaß und nichts dagegen hatte, zwei Kinder zu versorgen, die nicht ihre eigen e n waren. »Außerde m «, sagte sie fröhlich, um M a rie aufzu m untern, »werden wir ohnehin bald alle in Paris leben, jetzt, wo Euer Onkel Luçon Minister ist.«
Er blieb es ganze vier Monat e . Im April 1617 wurde Concini von Luynes, dem Falkner des jungen Königs, ermordet. Die lange Regentschaft der Königinmutter w a r zu Ende. L ouis m achte Luynes zum neuen Vorsitzenden des Ministe r rats und entließ alle Minister seiner Mutter. Gegen den Minister für Äußere Angelegenheiten schien er einen besonders starken Groll zu hegen, denn es genügte ihm nicht, ihn m it der Königin m utter nach Blois zu verbannen; einige Monate später schickte er ihn nach Avignon, über die französischen Grenzen hinaus, ins Exil.
Seine Fa m ilie begleitete ihn.
Marie gefiel Avignon, besonders die Sonne, welche die kleinen, hellen Häuser, die sich wie Auste r n an die Felsen klammerten, so erwär m te, daß sie ständig wie Lic h t er g l üh t en. Ab er sie wußte, daß dieses Exil in Avignon nicht nur den Tiefpunkt ihres Onkels, sondern den der ge s a m ten Fa m ilie du P les s is de Rich e li e u m arkierte. Außerdem mochte Avignon, die ehe m alige Residenz des Papstes, ein m al groß gewesen sein, doch jetzt lebten fast nur noch die Geister der Vergangen h eit hier. Die Fa m ilien m itglieder s tellten f est, daß sie nur noch einander zur Gesellschaft hatten, und begannen bald, Suzannes Erbe, die Z urückhaltung und Selbstdisziplin, zu verlieren. Der Bischof m achte lange Spaziergänge, und Marie schloß sich ihm an.
Anfangs sprach er wenig, doch an ihrem vierzehnten Ge b urtstag fragte er s ie: »Ist Euch d as nicht lan g weilig, ma nièce? Ich war angenehm überrascht, als E uer Vater s i ch entsc h l o ß, m ich zu begleiten, aber v i elleicht hätten wir Euch l i eber bei Eurer T ante Marguerite lassen s o lle n .«
»Ich bin gerne hier.«
Er blieb stehen und schaute sie nachdenklich an. »Daran zweifle ich nicht«, sagte er langsa m , »aber
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