Die Schatten von La Rochelle
sich nic h t, sie gab keinen Laut von sich, sondern sah Margot nur an. Und es war Margot, die sich als erste abwa n dte.
Nach zwei Wochen, als Marie ihr Schweigen im m er noch nicht gebrochen hatte, sagte Margot zu ihr: »Heute abend sprichst du wieder m it m i r, du wirst sehen. Du w i rst es sein, die zu m i r kom m t.«
Dann ging sie zu Grand m ère Suzanne und gestand ihr, daß sie Maries Vogel getöt e t hatt e , weil sie eifersüchtig auf ihn gew e sen war.
»Und es tut m ir nicht leid. Ich bin froh, daß er tot ist«, schloß sie. Grand m ère Suzanne erwiderte nic h t s . Sie ließ sich einen Weidenstock b r ingen und verprügelte Mar g ot vor der g esa m t en Fa m ilie und der Dienerschaft. Es dauerte lange, b is Marg o ts Mutter m it Tränen in den Augen bat, die Bestrafung zu beenden, und selbst dann hörte Grand m ère Suzanne nicht auf. Als s i e schließlich m it Margot fertig war, rief sie Marie zu sich, die inzwi s chen selb s t weinte.
»Ich werde Margot jetzt ohne Essen in den Keller schicken, wo sie bis m orgen früh bleiben wird. Möchtest du, daß sie danach ein anderes Zim m er als ihr übrigen Kinder bekom m t? «
Marie schüttelte den Kopf. Grand m ère Suzanne nahm ihr Gesic h t in beide Hände, und da erst sah Marie, daß die Groß m utter sich die Lippen blutig gebissen hatte, während sie Margot schlug.
»Ich m öchte, daß du genau verstehst, warum i c h Margot bestrafe, denn für dich gilt d asselbe. In die s er Fa m ilie gi b t es ei n e Krankheit, eine schli mm e Krankheit, und ich h a be gesch w oren, daß keines m einer Kinder und Enkelkinder sie je bekommen wird, daß ich sie für im m er vertreibe. Deswegen m uß ich schon die ersten Anzeichen bekä m p fen, und das ist heute geschehen.«
In der Nacht nahm Marie, die keinen Bissen heruntergebracht hatte, das Brot und das Dörrfleisch, das sie unter ihrem Rock versteckt hatte, und brachte es in den Kelle r . Es handelte sich um den alten Weinkeller, einen kalten, unhei m lichen Ort.
»Du bist sehr m utig, daß du hierh e rkom m st«, sagte Margot, als sie Maries Schritte hörte.
»Ich habe m i ch noch nie vor dem Dunkel ge f ürchtet«, erwiderte Marie und reichte ihr das Brot. »Hier ist etwas zu essen für dich. Aber warum hat sie nicht abgesperrt ? «
Margot lachte. In dem Schein der Kerze, die Marie in der Hand hielt, sah ihr Gesicht noch aufgeschwollen und gerötet aus, aber ihre Augen blitzten triu m phierend. » S ie weiß, daß ich n icht weglaufe. Außerdem könnte ich ja ausrutschen und m ir etwas brechen, und dann dauert es vielleicht zu l a nge, bis m ir je m and helfen kann.«
Sie schlang hastig und hungrig etwas von dem Brot herunter, dann mu r m elte sie: »Ich habe dir ja gesagt, daß du zu m i r kom m en und m it m ir sprechen würde s t.«
Marie setzte die Kerze ab und ließ sich neben Margot, die an einem alten W einfaß lehnte, nieder.
» W as für eine Krankheit hat sie ge m eint ? «
»Oh«, sagte Margot sorglos, »von Z e it zu Zeit wird je m and in der F a m ilie verrückt, weißt du, wie die alte L ise a u s dem Dorf. W arum hast du m i r kein W asser m itgebracht ? «
4. KAPITEL
Nach diesem Jahr kehrten sie noch ein m al nach Pont-Courlay zurück, wo das kleine Château ihres V aters lag, aber die Zeiten blieben sehr unruhig, und schließlich entschloß sich Françoise, m it ihren Kindern wi e der zu ihr e r Mutt e r zu g ehen, zu m al es ei n en u n m ittelbaren Anlaß g ab: Ihr Br u der Henri, der Marquis de Richelieu, würde endlich heiraten.
Dies m al blieb ihre Ankunft beinahe unbe m erkt, denn wie es der Zufall wollte, war Françoises jüngster Bruder, der Bischof von Luçon, am selben Tag eingetroff e n. Marie hatte sich anfangs nur nach Margot u m gesehen, aber ihre Auf m erksamkeit wurde schnell von dem U m stand gefesselt, daß ihre Mutter wie ein junges Mädchen errötete und in die Ar m e zweier fre m der Männer rannte.
»Henri!« rief sie, lac h te und weinte. »A r m and!«
Marie s cha u te fasziniert zu. Ihr Vater wurde v o n ihrer M u tter nie so behandelt wie diese beiden Unbekannten, die jetzt u m a r m t und geküßt wurden. Es dauerte allerdi n gs nicht lange. Inzwischen war auch Grand m ère Suzanne gekommen, und Françoise ver w andelte sich wieder in ihr altes, g e m essenes Selbst.
»A r m and«, wandte sie sich an den jüngeren von beiden und verbesserte sich rasch, »Monseigneur. Ich hörte von Eurem Erfolg in Paris. Meinen allerherzlichsten
Weitere Kostenlose Bücher