Die Schatten von La Rochelle
dumm, um ein Rivale zu sein. Sie wartete ungeduldig darauf, daß er endlich zu sprechen an f i nge, und war überzeugt, daß ihre Mutter log, als sie behauptete, so kleine Kinder brauchten nun ein m al lange, um Wör t er zu erlernen. Marie war überzeugt, daß es bei ihr anders gewesen war, und die Am m e, die in sie vernarrt war, bestätigte ihr das.
Also war es für sie ein Schock, daß sich Grand m ère Suzanne, von der sie so v iel gehört h atte, zuerst François a n sah. Die entzückten Ausrufe und das lange Gerede über Milch und Z ähne langweilten sie, und sie lief fort, um sich die Burg anzusehen. Sie kam allerdings nicht weit, bevor Grand m ère Suzannes Stimme sie zum Stehenbleiben zwang: »Mädchen, k o mm sofort zurüc k !«
Vergessen waren die sanften, g l ucksenden Töne, als Grand m ère Suzanne sie scharf ins Auge faß t e und dann zu ihrer Mutter sagte:
»Das Kind hat keine Disziplin, Françoise.«
»Sie ist noch so klein«, m u r m elte ihre Mutter, ignorierte aber die Hand, die Marie ihr hilfesuchend entgegenstreckte.
»Du weißt, wohin das führen kann«, gab Grand m ère Suzanne o m inös zurück. »Louise ist m it ihr e n Kindern hier, und du wirst sehen, daß die kleine Margot schon eine ganz erstaunliche Selbstbeherrschung zeigt. W enn sie will. Gott w eiß, ich ha b e noch n i e ein so eigensinniges Kind erlebt.«
Auf diese Weise hörte sie zum e r sten Mal von Margot, und eine lange Rivalität nahm ihren Anfang. Margots Mutter, Louise, war eigentlich die Tante ihrer Mutter, a b er fast genauso alt, was Marie anfangs verwirrte. »Außerdem habe ich nur adliges Blut in m ir«, teilte Margot ihr später m it, »währ e nd du von Advokaten abstam m st, wegen Tante Suzanne.«
Zu diesem Zeitpunkt hatte Marie allerdings schon eigene Waffen gefunden. »Soll ich ihr das sagen ? «
» W enn du unbedingt möchtest. Wenn du will s t, daß ich dir nie wieder etwas erzä h le, was dir son s t keiner verrät«, entgeg ne te Margot.
Margot war in jeder Hinsicht e i ne Herausforderung; sie war klug, wie Grand m ère Suzanne gesagt h a tte, und hübscher als Marie, m i t ihrem fl a m m end roten Haar und den grünen Augen. Aber sie hatte ihre Schwächen. Sie la n gweilte sich leic h t und n eigte dann d azu, da s , was sie lan g weilte, abz u brechen, w ä hrend M a ri e , zum ersten Mal in einer Situation, in der sie das Gefühl hatte, die Unterlegene zu sein, entdeckte, daß sie selbst den trockensten Unterrichtsstunden folgen konnte, wenn sie später die Bef r iedigung genoß, Margot übertreffen zu können.
Sie wurden beide vom Prior des Klosters Saint-Florent in S au m ur unterrichtet, der bereits der Lehrer ihrer Onkel und Tanten gewesen war. Es war ein wenig ungewöhnlich, als Mädchen bereits in diesem Alter m ehr als die Anfänge des Alphabets zu lernen, wie M argot s ie infor m ierte, aber, wie Grand m ère Suzanne sagte, »frühes W issen hilft zur W appnung des Geistes«.
Der Grund, warum sowohl Françoise de Vignerot als auch Louise de Pontchâteau m it ihren Kindern zum Château Ric h elieu gekom m e n waren, lag in den Revolten der Fürsten, die nach d e m Tod des Königs losgebrochen waren, doch das verstand Marie erst später. Sie war glücklich in diesem ersten Jahr. Margot und sie waren trotz oder wegen ihrer Rivalität ständig zus a mm en, und obwohl sie häufig stritten, hätten sie es nicht anders haben wollen.
Ein m al allerdings gab es eine Auseinandersetzung, die ihre K a m eradschaft beinahe für immer beend e t hätte. Marie hatte einen verwundeten Raben gesun d gepflegt und gezäh m t . Sie nannte ihn Hardi, nach dem Prior, was M argot zuer s t jedes m al zum Lachen brachte, wenn sie das Tier an s ah. Als aber der Vogel ständig auf Maries Schulter saß und sie m e hr und m ehr Zeit m it dem Tier verbrachte, schwand Margots Belustigung.
Eines Tages rief Marie vergeblich n ach Hardi. Sie suc h te i h n überall und fand ihn schließlich m it gebrochenem Genick auf dem Misthaufen. Sie wußte sofort, daß es kein Unfall gewesen war, sondern daß Margot es getan hatte. Sie sagte kein Wort davon zu irgend je m ande m , aber s i e s p rach auch ni cht m ehr m i t Marg o t . N ach ei n er Woche hielt diese es nicht m ehr aus. Sie hielt M arie fe s t , als sie beide von der morgendlichen W aschu n g m it eiskaltem W asser ka m en, auf der Grand m ère Suzanne bestand, und flüsterte: »Gut, ich gebe es zu. Ich war es. Redest du jetzt wieder m it m i r ? «
Marie rührte
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