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Die Schatten von La Rochelle

Die Schatten von La Rochelle

Titel: Die Schatten von La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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eigenartige Dinge, und er brachte sie dazu, über Angelegenheiten nachzugrübeln, m it denen sie sich früher nie befaßt hatte, aber er hatte nie versucht, die Her r in mit i h ren bl u m igen W orten zu i m itie r en.
    »Du hältst nicht viel von Gedichten, Charlott e ? « f ragte i h re Herrin, ob ironisch oder au f richtig intere ss ie r t, ließ sich nicht f estst e lle n , aber zu m i ndest klang es nicht tadelnd.
    »Nun, Mada m e«, gab Charl o tte zurück, » m ir sch e int, Gedichte sind Lügen.« Sie besann sich auf einige der poetischen Ergüsse, die Annette von ihren Verehrern bekom m en hatte, und das, was sie in Bruchteilen vor Mada m e de Ra m bo u illets S a lon m itbekommen hatte.
    »Wangen wie Schnee. Ich habe noch nie m anden gesehen, der eine so weiße Haut gehabt hat, Mada m e, und so kalt sind die Menschen auch nicht, wenn m an sie anfaßt. Wie Diana so grausam. Das habe ich m i r ein m al erklären lassen. W i r lernen doch, daß die heidnischen Götter nichts als Märchen waren, Mada m e , also, wie kann je m and so grausam wie ei n e heidnische Göttin s e i n ? All di e se Vergleiche stim m e n entweder nicht, oder m a n braucht einen Gelehrten, um sie zu enträtseln. Nein, Gedichte sind nichts für m i ch, M a da m e, ich höre lieber ganz klar, was m an von m i r will.«
    »Manche G edichte wollen nichts als Schönheit schaffen. Aber ich verstehe, was du m einst. Du bist e i ne A m eise, Charlotte, und wehe der Grille, die dir über den W eg läuft. Und jetzt kom m .«
    A m eise, Grille, dac h te Charl o tte, da haben wir e s wieder. Auch sie ist von diesem Wortge k lingel nicht abzubringen. W as habe ich m it diesem Getier zu schaffen? Trotzdem überlegte sie noch, was dieser Vergleich bedeuten sollte, als ihr auffiel, daß Mada m e dies m al nicht wie sonst jede W oche i hren Besuch m it einem Aufenthalt in der Abteilung für die Irren abschloß.
    » W ollt Ihr h eute nicht zu den Tollhä u slern, M ad a m e?«
    Ihre Herrin blieb jäh stehen. D i e leichte Belustigung, die während ihrer Unterhaltung über Gedichte in ihrer Miene gelegen hatte, verschwand vollständig. E ntweder verändert s ie si ch, dachte Charlotte, oder ich bekom m e Übung darin, sie zu beobachten. Früher hätte ich den Unterschied nicht be m erkt.
    »Du hast recht. Ich hatte es vergessen«, sagte Mada m e schließlich. Sie kehrte um. W ährend Charlotte ihrer Herrin folgte, verwünschte sie ihr Mu n dwerk. Sie legte wirklich keinen W ert auf den grausigen Anblick, und er wäre ihr dies m al erspart geblieben. W arum hatte sie Mada m e la Duchesse nur daran erinnern m üssen?
    Etwas sti mm t heute nicht m it uns beiden, schloß Charlotte, m it m i r genausowenig wie m it ihr.
     
    Paul d’Irsd m asens schien nicht üb e rrascht zu sein, sie zu sehen. Er stand im Halbdunkel seines Z i mmers; trotz der hereinbrechenden Däm m erung hatte er keine Anstalt e n ge m acht, die Kerzen anzuzünden.
    »Also seid Ihr gekom m e n.«
    »Ja.«
    »Ihr wißt, w as das bedeutet.«
    »Ich weiß, was Ihr glaubt, daß es bedeutet. Aber ich weiß auch, was es bedeutet, daß Ihr nicht zu m i r gekommen seid.«
    Er lachte leise und trat aus dem Halbdunkel heraus auf sie zu. Noch im m er m achte e r k e ine Anstalten, s i e zu berühren, aber er stand so nahe vor ihr, daß sie seine Körperwär m e spüren konnte.
    »Ah, Mada m e la Duch e sse, was für ein Anreiz Ihr doch seid.«
    Anreiz, a i gu ill on . Unwillk ü rlich er inne r te s ie sich an C h arl o ttes Gedicht vom heutigen Morgen und entgeg n ete a m üsiert: » Und Ihr scheint eine unausrottbare Vorliebe für W ortspiele zu haben.«
    »In der Tat, Ein Erbe m einer Mutter, könnte m a n sagen. Doch die Zeit f ür Spiele i s t vor b ei. Euch ist klar, Mad a m e, worum es hier geht ? «
    Sie wich seinem Blick nicht aus. »Ihr glaubt«, sagte sie ruhig, »was Ihr m ir auf dem Plaee de Greve gezeigt ha b t, das sei die W ahrheit. Das wahre Gesicht d e r Menschen. Und Ihr wollt m ich dazu bringe n , daß ich es ebenfalls glaube. C h aos und Gier, und sonst nichts.«
    »Homo homini lupus.« Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.
    »Sunt lacrimae rerum, et mentem mortalia tangunt.« Im Herzen der Dinge sind Tränen, und alles, was dem Tode geweiht ist, berührt das Innerste der Menschen.
    Er legte eine Hand an ihren Hals und spürte die H alsschlagader pochen, schnell, heftig, was ihre ä u ßere Gelassenheit Lügen strafte.
    »Möglich, Mada m e. Das ist es also, was Ihr m i ch

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