Die Schatten von La Rochelle
diese Fähigkeit ohnehin nur Annettes Marotten. Selbstverständlich dachte sie überhaupt nicht daran, ihm noch ein m al auch nur den kleinen Finger ihrer Hand zu reichen, und das när r ische Gedicht stam m te eindeutig von einem der Schreiber auf dem Pont-Neuf, die es dort für liebeskranke Bürgerfrauen und ihre Ver e hrer verfaßten, doch was sie irritierte, war d ie Über s chrift: Für die Katze aus Gold. Die Katze a u s Gold? W as hatte das zu bedeuten?
Charlotte hätte den Fetzen schon l ä ngst fortgeworfen, wenn sie die Überschrift verstanden hätte. Doch vielleic h t s o llte sie eine gehei m e Drohung darstellen, eine Erinnerung an die Verhältnisse, in denen Le Val sie gefunden hatte. Wenn sie n u r sicher wäre. Ihn selbst konnte sie natürlich nicht fragen, und auch sonst nie m anden im Haushalt, denn abgesehen davon, daß sie nicht wußte, wer von ihnen überhaupt i m stande war, zu le s en, hätte irgendwer dann bestim m t Le Val von Charlottes Neugier erzählt. Sie w o ll t e nicht, daß er auch n u r auf den Gedanken ka m , sie m a c he sich etwas aus ih m .
Sie warf e i n en Blick auf ihre Her r in. Mada m e schien heute in zugänglicher Stim m ung zu sein, und a ußerdem gab es sonst nie m anden, bei dem sie so sicher war, daß er n i chts erzä h len würde. Im Gegenteil, wahrscheinlich würde es die Herzogin sofort wie d er ve rgesse n ; was küm m e r ten sie schließlich Dienstbotenangelegenheiten?
»Mada m e«, begann Charlotte zögernd, »ich habe da dieses Gedicht.«
Ohne in ihrer Tätigkeit innezuhalt e n, schaute die Herzogin sie an und wölbte fragend eine Augenbraue.
»Nicht h i er « , sagte Charlotte ha s tig, »es ist auch zu dum m , um es herzuzeigen. Aber es ist an m i ch g e richtet, d as weiß ich, w e il m an es m i r gegeben hat, nur verstehe ich die W i d m ung nicht.«
Einen Moment lang fürchtete sie, Mada m e la Duchesse würde sie indigniert darauf hinweisen, m an solle sie m it derartigem Unsinn nicht belästigen. Doch die Herzog i n erwiderte neutral: »Wie lautet sie ? «
Nun, sie hörte ja jedes m al Gedicht e , wenn sie ihre Salons besuchte, und diese Vorträge klangen auch nicht viel sinnvoller als Le Vals Gefasel. Charlotte gab sich einen Ruck und antwortete: »Für die Katze aus Gold . «
Ein m al ausgesprochen, schien es noch peinlicher zu sein. Es wäre vielleic h t ve rstän d lich g ewesen, h ä tte sie blonde Haare gehabt wie Annette, aber so klang es nur alb e rn. Mada m e m achte zuerst ein etwas verdutztes Gesicht, dann lachte sie, und Charlotte stieg das Blut in die W angen.
»Dein Verehrer m uß einen Studenten m it einer Vorliebe f ür W ortspiele kennen, Charlotte«, sagte ihre Herrin. »Es ist ein Anagramm auf deinen N a m en.«
Und was, bitte, war e i n Anagram m ? Es klang a uf jeden Fall nach nichts Gutem, auch wenn sich b est äti g te, daß Le Val d a s Gedicht un m öglich selbst verfaßt haben k o nnte. Mada m e hatte inzwischen die l e tzte Binde be f esti g t. An der Taille trug sie, wie viele D a m en, einige m odische Kleinigkeiten, nur waren es bei ihr eine kleine Uhr, statt eines Parfu m fläschchens, und ein kleines Buch m it leeren Seiten, an dem ein noch w inzigerer Stift hing. Mit diesem schrieb sie jet z t auf ei n e der le e ren Seiten Charlottes Namen in groß e n, breiten Buchstaben, und darunter: Die Katze aus Gold.
»Siehst du, Charlotte? Wenn m an d i e Buchstaben neu m ischt, geht es auf, bis auf eines der T’s, das durch ein D ersetzt werden m uß.« Charlotte blickte auf das Blatt.
CHARLOTTE LE CHAT D’OR
Nun, es sah Le Val ähnlich, daß er glaubte, sie du r ch so ein du mm es Buchstabenspiel beeindrucken zu können.
»Ich verstehe, Mada m e.«
Die Herzogin wusch ihre Hände in der bereitstehenden Schüssel und reichte sie dann an C harlotte weiter.
»Ich hätte nicht gedacht, daß M a tthieu unsere Sprache schon so gut beherrscht.«
»Oh, es ist nicht von Matthieu, Mada m e. Er würde keine Zeit auf Gedichte verschwenden.«
Kaum war es ausgesprochen, biß Charlotte sich auf die Lippen. Fast ein Jahr lang hatte sie Takt und Diskretion bewiesen, und dann ließ sie sich zu so einer B e m erkung hinreißen. S i e hatte zum ersten m al m it Mada m e gesprochen, ohne nachzudenken, wie… wie m i t einer Freundin. Aber Mada m e war nicht ihre Freundin, sondern die Frau, welche die Macht hatte, sie umgehend auf die Straße zurückzubefördern.
Im übrigen stim m te es. Matt h ieu sagte m anchmal
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