Die Schatten von La Rochelle
sehr früh in seiner Kindheit erkannt hatte, daß sich m it diesem Inbegriff an Ehrfu r cht und Frömmigkeit nicht konkurrieren ließ, hatte er sich e n tschieden, sich die Auf m erksa m keit seines Vaters auf andere W eise zu sichern, und seine Neigung, unmöglich zu sein, zu einer hohen Kunst entwickelt.
»Gebt zu, Euch hat der gute Bür g er m eister auch gelangweilt«, sagte er und wurde dann ernsthaft. »Selbst ein Blinder sieht, daß es La Rochelle b e stim m t ist, den Ka m pf um die protesta n tisc h e Freih e it auszufechten. Nichts gegen den H erzog, aber Ihr wißt genausogut wie ich, Vater, sein Kampf gegen Condé unterscheidet sich nicht wesentlich von früheren Auseinandersetzungen, nur daß Condé jetzt auf Seiten des Königs steht. Aber die Bürger von La Rochelle haben die Chance, die Rec h te aller Prote s tanten des Landes zu verteidigen, und ich finde es einfach jäm m erlich, da noch zu zögern.«
Sein Vater klang im m er noch kühl, a b er nicht m e hr so erzürnt wie vorher. »Du hast das wahre Gesic h t des Krieges noch nicht erlebt, Paul, nur ein paar Schar m ützel im Süden, und vor allem noch keine Belagerung. W enn wir jetzt m it d e iner Großtante und Cousin Soubise speisen, will ich k eine leichtfertigen Be m erkungen m ehr höre n , verstanden?«
»Angesichts der Miene des Gra f en Soubise«, erwiderte Paul und wich einer Pf ütze aus, »wird selb s t die frivolste Lei c ht f e r ti g keit sa u er und gerinnt. Er m uß das von den Eng l ändern gelernt haben. Schon gut, schon gut, ich werde die Ehrfu r cht in Person sein und nur von ernsthaften Dingen sprechen.«
Catherine de Parthenay-Lusignan, die alte He r z o ginwitwe v o n Rohan, war si ch ihrer Stellung als O b erhaupt der letzten Fa m ilie des Hochadels, die noch nicht wieder zum Katholizis m us konvertiert war, sehr bewußt, und wen sie in d e m Palais, das sie in La Rochelle bewohnte, empfing, der konnte nic h t u m hin, das m it einem königlichen E m pfang im Louvre zu vergleichen. Doch während die Herzogin und ihr ältester Sohn, der jetzt im Midi k ä mpfte, m ühelos W ürde ausstrahlten, wirkte sie bei ihrem jüngeren Sohn, dem Grafen Soubise, im m er leicht aufgesetzt und übertrieben. Paul tat sein Bestes, um sich den weitschweifigen Bericht über Soubises Heldentaten im englischen Exil geduldig anzuhören; aber als Soubise zum zehnten m al seine innige Freundschaft m it dem Herzog von Buckingham betonte, brachen s ei n e guten Vor s ätze z u sam m en.
»Ist Eure Freundschaft wirklich so eng? W as für ein Glück«, sagte er unschuldig, »daß der Herzog von Buckingham unserer Königin so ö ff entlich d en Hof gemacht h a t, d a ß nie m and m ehr an seinen natu r ge m äßen Neigungen zweifelt. Schli e ßlich war der verstorbene König Ja m es, dur c h den er zu A m t und Würden ka m , ja für seine Vorlieben bekannt, und das würde sonst bei bösartig gesonnenen Katholiken einen ge m einen Verdacht über E u re Freundschaft m it d e m Herzog erregen, Cousin…«
Befriedigt beobachtete er Soubises purpurrot angelaufenes Gesicht. Natürlich glaubte er keinen Mo m ent daran, daß Cousin Soubise so etwas Interessantes wie ein geheimes Liebe s leben hatte, aber sein Anblick und vor allem die plötzli ch e S t i ll e w a r en e i n S c hm aus für die Gött e r.
»Paul, das genügt«, sagte sein Vater. »Da du dich i m m er noch wie ein Kind benimmst, werde ich dich auch wie ein solches behandeln. Geh auf dein Zimmer.«
Sein verletzter Stolz, der m it neunzehn Jahren noch sehr empfindlich war, hätte genügt, um sich zu weigern und an Ort und Stelle einen Streit vom Zaum zu brechen. Doch zum einen hatte er noch Neuigkeiten, die bei seinem Vater auf W iderstand stoßen w ürden und ihm schonend, in guter Stimmung beigebracht werden m ußten, und zum anderen wollte er den Rohans nicht die G e legenh e it g e ben, sich seinetwegen wieder über den jüngeren Zweig der Irsd m asens zu ereifern. Also gehorchte er und spürte m ehr, als er ihn hörte, den erleichterten Seufzer sei n es Vaters.
Nach dem Mahl kam, wie er es erwartet hatte, Philip p e d’Irsd m asens noch einmal zu ih m . »Ich war im Unrecht, und ich entschuldige mich«, sagte P a ul sofort, als sein V a ter eintrat. »Wenn Ihr wollt, werde ich m i ch sogar bei Cou s in Soubise entschul d i ge n .«
Für Paul hatten die Patriarchen der Bibel im m er seinem Vater geglichen: grauweiße Haare, eine große Autorität in der Stimme und eine strenge,
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