Die Schattenflotte
lächerlich.»
«Nur für ein paar Tage.»
«Und was soll ich Lisbeth sagen?»
«Sie wird zu dir halten.»
«Ich bin doch kein Verbrecher.»
«Oder zu Martin.» Tilda blickte ihn flehentlich an. «Bitte.»
«Daran habe ich auch schon gedacht», sagte Sören, und es war nicht gelogen. Er musste mit jemandem sprechen, Abstand gewinnen, einen klaren Kopf bekommen. Martin hatte die nötige Distanz. Und zudem würde Tilda erst einmal beruhigt sein, wenn sie ihn in Sicherheit wusste, zumal sein Aufenthaltsort dann nur eine Häuserecke entfernt lag.
«Dann lass uns gleich aufbrechen. Weißt du, ob er zu Hause ist?»
«Nein», entgegnete Sören. «Aber ich weiß notfalls, wo der Schlüssel liegt.»
Martin Hellwege war zu Hause. Zuerst hatte Sören gedacht, er habe vielleicht Besuch, denn die Villa in der Alten Rabenstraße war hell erleuchtet, aber dem war nicht so. Da Martin sich aus unerfindlichen Gründen weigerte, Hausbedienstete einzustellen, kam er selbst zur Tür. Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, denn Tilda verabschiedete sich noch in der Halle von Sören und versprach, sich sofort zu melden, falls sich jemand nach ihm erkundigen sollte.
«Ist ja schon ein paar Jährchen her, dass ich dich als Gast in meiner bescheidenen Junggesellenhütte beherbergt habe», meinte Martin und hängte Sörens Rock in der Garderobe auf. «Darf ich nach dem Grund fragen, oder wäre das indiskret?»
«Ich stecke ziemlich in Schwierigkeiten, Martin.»
«Aber zwischen dir und Mathilda ist alles in Ordnung, wie ich gesehen habe.»
«Es könnte nicht besser sein», antwortete Sören.
«Na, du wirst mich schon aufklären. Komm, ich habe noch ein gutes Dutzend frischer Whitstable Natives von Kempinski in der Küche. Die sollten für uns beide reichen. Und eine dazu passende Flasche Champagner wird sich auch noch finden.»
Diese Unbekümmertheit war typisch für Martin. Bevor man sich daranmachte, irgendwelche Probleme zu erörtern, musste erst einmal für das leibliche Wohl gesorgt sein. Wenn Sören nicht überraschend aufgetaucht wäre, dann hätte Martin sicherlich in einem Restaurant gegessen und den restlichen Abend in seinem Club, der Gesellschaft Harmonie, verbracht. Mangels Familie hielt ihn abends nicht viel im eigenen Haus, wie er sich auszudrücken pflegte. Früher hatte Sören immer über Martins Junggesellendasein und die damit verbundene ewigeUnternehmungslust gespöttelt, bis ihm sein Jugendfreund dann eines Tages den wahren Grund für sein außergewöhnliches Leben verraten hatte. Auch wenn das nun schon mehrere Jahre her war, hatte Sören immer noch Schwierigkeiten bei der Vorstellung, dass sich Martin lieber mit Männern als mit Frauen umgab – nicht nur gesellschaftlich, sondern eben auch körperlich. Martin erwähnte keine Einzelheiten, und Sören fragte nicht weiter nach. Die Verschwiegenheit, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, betraf aber ausschließlich Martins Liebesleben. So schwer es Sören auch fiel, die Gefühlswelt seines Freundes nachvollziehen zu können, Vertrauen und Freundschaft hatten zu keiner Zeit darunter gelitten.
Martin Hellwege lebte das Leben eines Genussmenschen. Er konnte es sich leisten, denn er war der letzte Spross einer wohlhabenden Hamburger Familie: luxuriöses Essen, elegante Kleidung stets nach der neuesten Mode, kulturelle Veranstaltungen und Empfänge allerorts sowie ausgedehnte, teils exotische Reisen. Natürlich in Begleitung, aber darüber sprach Martin nicht mit ihm. Wenn er Martin in Gesellschaft eines guten Freundes, wie er selbst seine Beziehungen nannte, begegnete, dann machte er sie zwar ganz unverfänglich miteinander bekannt, verabschiedete sich jedoch in der Regel recht schnell wieder. Warum, konnte Sören nur vermuten. Vielleicht war es Martin doch unangenehm, in Gesellschaft von einem Eingeweihten beobachtet zu werden.
Eine Zeit lang mussten seine Beziehungen wohl immer nur von kurzer Dauer gewesen sein, denn ständig hatte er Sören neue gute Freunde vorgestellt. Hin und wieder war er Martin auch in Begleitung hochgestellter Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben begegnet, was ihn stets etwas verunsichert hatte, denn anscheinendwar die Neigung seines Freundes doch viel verbreiteter als von ihm angenommen. In der letzten Zeit hatten sie sich jedoch immer seltener bei offiziellen Anlässen getroffen, und wenn doch, dann war Martin ohne Begleitung gewesen. Sören verkniff es sich, Martin darauf anzusprechen.
Nachdem sie die Austern
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