Die Schattenflotte
erinnert?»
«Keine Ahnung. Er hat nur einen flüchtigen Blick auf die Karte geworfen. Aber wenn es zu einer Gegenüberstellung kommt, erinnert er sich bestimmt.»
«Muss nicht sein. So viele Leute, die da täglich im Hotel ein und aus gehen …»
«Aber es wird dort nicht jeden Tag ein Hotelgast aus dem Fenster geworfen.»
«Auch richtig. Aber bedenke mal, der Kerl, der dich auf der Treppe angerempelt hat …»
«Angerempelt? Der hat mich fast umgerannt!»
«Egal. Was ich sagen will, ist: Der muss doch auch am Empfang vorbeigekommen sein. Es sei denn, der Tote auf der Straße war gar nicht dieser … Wie war der Name?»
«Otte. Waldemar Otte.»
«Genau. Was weißt du eigentlich über ihn?»
«Nicht viel, nur dass er aus Danzig stammt. Aber in dem Hotelzimmer hingen seine Sachen, sein Rock, ein Gehstock und seine Melone. Und der Kerl, der mir gefolgt ist, war mindestens einen Kopf größer.»
«Gut, also gehen wir meinetwegen davon aus, dass der Tote dieser Otte ist. Stellt sich die Frage, warum der andere Kerl auf dich gezeigt hat. Er glaubt, dass du ihn wiedererkennen könntest, richtig?»
Sören erschrak. Worauf Martin hinauswollte, war, dass er selbst ein wichtiger Zeuge war. Er hatte zwar das Verbrechen nicht beobachtet, aber er hatte den Täter gesehen und konnte ihn notfalls identifizieren. Der Kerl wusste wahrscheinlich gar nicht, dass Sören auf dem Weg zu Waldemar Otte gewesen war, als sie sich auf der Treppe getroffen hatten. Allein dadurch, dass er ihn gesehen hatte, stellte er für den Mann nun eine Gefahr dar. Sören schauderte bei dem Gedanken. Vor seinem geistigen Auge sah er wieder diesen hinterhältigen Blick. Der Kerl hatte nur auf eine Gelegenheit gehofft, einen unliebsamen Zeugen aus dem Weg räumen zu können. Hatte er deshalb den Empfangschef auf Sören aufmerksam gemacht? Eine innere Stimme sagte ihm, dass das nicht der alleinigeGrund gewesen sein konnte. Dann fiel es Sören plötzlich ein, und er fuhr hoch.
«Ich Idiot!», rief er und rannte zur Garderobe. Die Schriftstücke steckten immer noch in der Innentasche seines Rockes.
«Interessant», murmelte Martin und versuchte, die Dokumente ihrem Zusammenhang nach zu ordnen. «Schade, dass du nicht alle Seiten hast. Das reinste Puzzlespiel. Ein Kostenvoranschlag, Korrespondenz mit einer Werft, Vorgaben für den Bauplan eines Schiffes … Allerdings wissen wir jetzt, was er beruflich gemacht hat. So, wie es aussieht, war er Bevollmächtigter einer Schiffswerft, der Schichau-Werft in Danzig.»
«Ich habe zusammengerafft, was runtergefallen war. Vollkommen zufällig.»
Martin war auf einen Schlag wie verwandelt. Neugierig beugte er sich über die Dokumente, als gelte es, ein Rätsel zu entschlüsseln. Schließlich schüttelte er den Kopf. «Was ich diesen Fragmenten entnehmen kann, klingt alles völlig normal und unspektakulär. Der Mann war ein Handlungsreisender, der mit der Hapag über den Bau von Schiffen verhandelt hat. Aus einzelnen Blättern werde ich zwar nicht schlau, aber das Zeugs hier scheint mir keinen besonderen Wert zu haben.»
«Immerhin hat er die Unterlagen aus dem Zimmer entwendet. Und den Briefköpfen nach müssen sich die Dokumente vorher im Besitz von Waldemar Otte befunden haben. Warum also hat er sie mitgenommen? Vielleicht steht sogar etwas darin, das erklärt, warum Otte sterben musste.»
Martin zuckte mit den Schultern. «Nur was? Gehen wir mal systematisch vor. Als Verteiler des einen Schreibenstauchen noch die Vulcan-Werft in Stettin, die Seebeck-Werft in Geestemünde sowie Blohm + Voss hier in der Stadt auf. Es könnte also sein, dass es sich um eine Ausschreibung handelt.»
«Und man sich mit Otte eines unliebsamen Konkurrenten entledigt hat? Wohl kaum. So ein Kostenvoranschlag ist doch nicht an eine Person gebunden. Die Schichau-Werft würde einen neuen Agenten zur Verhandlung schicken.» Sören tippte auf eines der Dokumente. «Die Angaben über das Schiff sind jedenfalls nicht vollständig. Daraus ist nicht mal zu erkennen, ob es sich um einen Frachtdampfer oder ein Passagierschiff handelt. Nur die geplante Länge von 160 Metern ist genannt.»
«Dazu könnte allerdings die Blaupause mit der eingezeichneten Skizze hier passen, wo die Schichau-Werft darauf hinweist, dass bei einer geforderten Durchschnittsgeschwindigkeit von 24 Knoten entsprechend einer Maschinenleistung von angestrebten 50 000 PS der Einsatz spezieller Turbinen notwendig sei.» Er deutete auf ein
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