Die Schattenflotte
bestimmt ein halbes Vermögen für die Behandlungen ausgeben musste. Nun, es traf wenigstens keinen Armen. Und wenn es tatsächlich half, hatte die Sache ja zumindest teilweise ihren Zweck erfüllt, auch wenn sich Sören sicher war, dass es wohl eher der Glaube an die Behandlungsmethode war, der für die Linderung der Beschwerden sorgte. «Nein, davon habe ich tatsächlich noch nichts gehört.»
«Höre ich da etwa ein Fünkchen Ironie aus deinen Worten?»
«Wie käme ich dazu?» Sören musste unweigerlich grinsen.
«War nur so eine Idee.» Natürlich hatte Martin ihn längst durchschaut. Sie kannten sich einfach schon zu lange. «Steht dir übrigens gut – war aber unnötig.» Lächelnd reichte er Sören den
Correspondenten
, den er mitgebracht hatte. «Alles Weitere steht auf Seite vier.»
Neugierig schlug Sören die Zeitung auf und blätterte auf die entsprechende Seite.
Tragischer Unfall am Hühnerposten
. Sören überflog den Artikel. Was da stand, war unglaublich. Demnach wurde der Fenstersturz, bei dem ein Gast des Hotels Victoria zu Tode gekommen war, als tragischer, jedoch vermeidbarer Unfall angesehen. Der Artikel endete mit einer anklagenden Kritik gegen die baupolizeilichen Vorschriften bei öffentlichen Gebäudenin der Stadt, deren Gestalt häufig genug nicht mehr den heutigen Sicherheitsstandards entsprechen würde. Vor allem die niedrigen Fensterbrüstungen in den oberen Etagen älterer Bauten seien, wie im vorliegenden Fall, schuld daran, dass es immer wieder zu tragischen Unfällen komme. Kein Wort von einem Verbrechen. Sören legte die Zeitung beiseite. «Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.»
Martin biss genussvoll in sein mit Schinken belegtes Brötchen. «Daff heifft …» Er schluckte den Bissen hinunter. «Entschuldigung. Das heißt, deine Sorge war völlig umsonst. Kannst dir den Bart wieder ankleben. Die Polizei sucht nicht nach dir.»
«Und wenn das eine Falle ist?»
Martin schüttelte den Kopf. «Quatsch. Du bist doch kein Schinderhannes.»
«Aber die Tat an sich bleibt davon unberührt.»
«Mag sein. Du hast jetzt jedenfalls freie Hand, der Sache auf den Grund zu gehen. Das Versteckspiel hat ein Ende. Noch Kaffee?»
«Ja, danke. – Klingt, als wenn du mich loswerden willst.»
Martin schenkte nach. «Klar, so schnell wie möglich. Was hast du denn gedacht?» Er lachte auf. «Ich umgebe mich nicht gerne mit mörderischem Gesindel. Nein, im Ernst: Mathilda wird dich lieber heute als morgen zurückhaben wollen. Sie wirkte ja gestern schon ganz aufgelöst. Milch?»
«Gerne. Kümmerst du dich trotzdem um dieses Bankschreiben?»
Martin nickte. «Kann ich machen.» Ein schrilles Klingeln tönte aus der Halle. «Du entschuldigst?» Martin wischte sich mit der Serviette den Mund ab und erhobsich schwerfällig. Als er vom Telefonapparat zurückkam, hatten sich seine Gesichtszüge verändert. Irgendetwas schien ihn zu bedrücken.
«Schlechte Nachrichten?», fragte Sören.
«Seltsame Nachrichten, würde ich sagen.» Martin legte die Stirn in Falten und blickte Sören nachdenklich an. «Wenn man vom Teufel spricht … In diesem Fall allerdings eher von einer bezaubernden Teufelin. Das war deine Frau. Fräulein Paulina hat sich soeben bei ihr gemeldet. Sie war sehr aufgeregt und lässt ausrichten, du mögest bitte sofort in die Kanzlei kommen. Die Polizei sei da.»
Sie hatten noch eine Weile darüber spekuliert, was die Polizei überhaupt schon wissen konnte, waren aber letztendlich zu dem Ergebnis gekommen, dass es am besten wäre, wenn sich Sören den Tatsachen erst einmal stellen würde. Martin hatte angeboten, ihn zu begleiten, aber Sören hatte abgelehnt. Mit einem «Du hörst von mir» hatte er sich von seinem Freund verabschiedet. Auch den Gedanken, vorher zu Hause vorbeizuschauen, hatte Sören verworfen. Das würde es nicht einfacher machen.
Die ganze Fahrt über grübelte Sören darüber nach, was er den Beamten erzählen sollte. Schließlich kam er zu dem Entschluss, so lange wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben. So abenteuerlich und unglaubwürdig seine Version der Geschichte auch klingen mochte, es war schließlich die Wahrheit.
Eine knappe Viertelstunde später betrat Sören, auf alles gefasst, seine Kanzlei. Fräulein Paulina kam ihm schon auf dem Flur aufgeregt entgegen. «Hat Ihre Frau Gemahlin Sie erreicht? Schön, dass Sie gleich gekommen sind. Es ist ja so furchtbar …»
Fräulein Paulina war völlig aufgelöst und zitterte am ganzen
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