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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Schmunzeln. «Ballin selbst soll sie ja Peterle nennen, habe ich gehört. Ein Sohn wäre ihm wohl lieber gewesen.» Er lachte kurz auf. «So mächtig er als Generaldirektor der Hapag auch sein mag, privat hat er da wohl weit weniger zu bestellen. Hast du die beiden einmal nebeneinander gesehen? Er reicht seiner Frau ja gerade mal bis zur Schulter.»
    Er deutete auf das Schachbrett, das wie gewohnt auf dem kleinen Tisch am Fenster stand. «So, jetzt aber genug der ganzen Spekulationen. Lass uns noch eine gute Flasche aufmachen und eine Partie spielen, so wie wir es früher immer gemacht haben. Und den Rest verschieben wir auf morgen.»
    Sören hatte keine Einwände. Er bezweifelte zwar, dass er seine Gedanken und Sorgen würde ausblenden können, aber der Tag war aufregend genug gewesen. Von daher kam ihm Martins Vorschlag ganz recht.

Unter Verdacht
    Sören betrachtete sich eine Weile im Spiegel des Badezimmers. Länger als sonst. Die grauen Haare an den Schläfen nahmen langsam überhand. Er reckte den Hals und strich mit der Hand über die Haut. Ein paar Falten, nun gut, immerhin waren noch keine Altersflecken auszumachen. An Martin waren die Jahre weniger schonend vorbeigegangen. Sein Freund sah gut und gerne zehn Jahre älter aus, obwohl sie nur wenige Monate trennten. Entschlossen griff Sören nach dem Tiegel und seifte sein Gesicht ein. Dann zog er den Stahl mehrmals über das Leder. Tilda würde begeistert sein. Sie hatte den Bart nie leiden können. Nicht nur, weil er eben kein kaisertreuer Geselle war, wie sie es spaßeshalber auszudrücken pflegte, sondern weil sie der Bart beim Küssen kratzte. Doch dies war nicht der wirkliche Grund für seinen Entschluss. Behutsam setzte er die Klinge an und führte sie über die Haut. Es hatte ja nichts Endgültiges. Einen Bart konnte man schließlich nachwachsen lassen. Vielleicht in anderer Form.
    Nachdem er den restlichen Schaum aus dem Gesicht gewaschen hatte, betrachtete er sich erneut. Das Ergebnis überraschte ihn mehr, als er erwartet hatte. Vorsichtig strich er über die nackte Haut. Es war ein ungewohntes Gefühl, ungewohnt wie sein Aussehen. Seine Gesichtszüge wirkten plötzlich schmal, und Sören überlegte, wie lange er den Bart getragen hatte, konnte sich aber nicht genau entsinnen.Mit einem Alaunstift stoppte er die Blutung an der Oberlippe und nickte zufrieden. Wenn er sich schon selbst kaum wiedererkannte, würde es anderen ebenso schwerfallen. Er war gespannt, was Martin sagen würde. Der Nachricht zufolge, die er vor Sörens Zimmertür gelegt hatte, wollte er in einer halben Stunde zurück sein. Mit frischen Brötchen. Sören zog sich an und ging hinunter in die Küche, um den Frühstückstisch zu decken.
    «Du bist schon auf?», fragte Martin und blickte amüsiert zur Uhr, als er sich an den gedeckten Tisch setzte. Es war bereits nach zehn, und Sören knurrte allmählich der Magen. «Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, aber ich hatte noch einen Behandlungstermin und musste endlos lange im Wartezimmer sitzen.»
    «Etwas Ernstes?» Sören nahm die Brötchentüte entgegen. Nur mit einem Stirnrunzeln hatte Martin die Veränderung von Sörens Aussehen quittiert.
    Martin schüttelte den Kopf. «Nein, ich habe zweimal wöchentlich Behandlungen in dem neuen Institut an der Rothenbaumchaussee. Ich hatte dir doch von meinen ständigen Kopf- und Nackenschmerzen erzählt. Das zieht sich nun schon mehr als ein halbes Jahr hin. Und seit man mir dort mit dieser Influenzmaschine zu Leibe gerückt ist, verspüre ich schon eine deutliche Besserung.»
    «Influenzmaschine?»
    «Ja, hast du davon noch nichts gehört? Influenzmaschine und Oszillator. Mit deren Hilfe lässt sich die normale Bewegungsschwingung der körperlichen Zellen wiederherstellen. Wenn die nämlich aus dem Lot geraten ist, kann es zu allen möglichen körperlichen Beschwerden kommen. Ich habe vor einigen Wochen einen Vortrag über diese Schwingungstheorie gehört. Das ist etwas ganz Neues, und diese Heilkunst funktioniert wunderbar.»
    «Aha.» Sören verdrehte die Augen. Wöchentlich las man in den Zeitungen irgendwelche Anzeigen über neue Heilkünste und medizinische Erkenntnisse. Dabei schien die Zeit der einfachen Scharlatane, Wunderheiler und Handaufleger vorbei zu sein. Nun präsentierte man sich im weißen Kittel und rückte den Patienten mit irgendwelchen martialischen Maschinen zu Leibe. Welchem Hokuspokus sein Freund da auch aufgesessen war, Sören war sich sicher, dass Martin

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