Die Schattenflotte
Körper. Sie war zwar schon immer leicht aus der Fassung zu bringen gewesen, aber so erregt hatte er seine Angestellte bislang selten erlebt. Seit mehr als zehn Jahren arbeitete sie als Sekretärin und Hilfskraft in der Kanzlei, und sie waren ein eingespieltes Team. Er vertraute ihr – nein, mehr noch, er mochte sie. Wahrscheinlich lag es an ihrem unterkühlten, spröden Charme. Häufig genug ertappte sich Sören bei der Frage, warum sie keinen Mann gefunden hatte, denn obwohl sie bereits knapp vierzig Jahre alt war, wirkte sie keinesfalls wie eine alte Jungfer. Sie war ausgesprochen groß und schlank gewachsen, hatte ein markantes Gesicht mit einer leicht gebogenen Nase und kräftigen Zähnen. Ihre fast strenge Erscheinung, die durch ihre pechschwarzen Haare nochmals unterstrichen wurde, passte so überhaupt nicht zu ihrem nervösen Wesen. Soweit Sören wusste, wohnte sie zusammen mit ihrer früh verwitweten Schwester in einer kleinen Wohnung am Grimm. Nur einen Katzensprung von ihrer Arbeitsstelle entfernt, weshalb sie häufig die Erste in der Kanzlei war – und oft genug als Letzte ging. Zu ihrem zehnjährigen Jubiläum hatte Sören ihr etwas Persönliches schenken wollen und ihr neben einer kleinen Gehaltserhöhung einen Gutschein für ein Essen bei Hambachers überreicht – für zwei Personen. Als die Gutschrift nach zwei Monaten immer noch nicht eingelöst war, hatte er sie gefragt, ob er sie denn selbst begleiten dürfe, was ihr zuerst sehr unangenehm gewesen war, aber dann hatte sie den Abend sichtlich genossen. Seither blickte sie ihn immer an, als wenn sie ein gemeinsames Geheimnis hätten.
In diesem Augenblick hätte er sie am liebsten tröstend in den Arm genommen. «Nun machen Sie sich mal keineSorgen. Ich bin da, und der Rest wird sich aufklären.» Er schaute sich um. «Wo sind denn die Beamten?»
«In Ihrem Büro. Die Polizei hat alles abgesperrt. Man sagte mir, es gebe vielleicht verwertbare Spuren. Es ist ja ein völliges Durcheinander. Alles liegt drunter und drüber.»
Langsam dämmerte Sören, was geschehen sein musste. Allem Anschein nach waren seine Sorgen völlig unbegründet. «Ein Einbruch?», fragte er vorsichtig.
Fräulein Paulina nickte. «Ich habe kurz vor acht aufgesperrt. Zuerst wirkte alles wie immer. Aber Ihr Arbeitszimmer …» Sie schüttelte fassungslos den Kopf. «Ein solches Chaos. Selbst den Tresor hat man aufgebrochen.»
Sören machte einen tiefen Atemzug. Ob aus Erleichterung, wusste er selbst nicht zu sagen. «Sie haben alles richtig gemacht», meinte er beruhigend und lächelte sie an. «Dann wollen wir mal sehen, wie groß der Schaden wirklich ist.»
Der Polizist, der Sören gegenübertrat, war noch sehr jung und seinem Auftreten nach auch unerfahren. Erst nachdem Sören sich als Hausherr zu erkennen gegeben hatte, stellte er sich als Bezirkskommissar der Kriminalpolizei vor. Sein Vorgesetzter kam wenige Augenblicke später aus Sörens Arbeitszimmer. «Tja, da kannte sich jemand aus.» Er reichte Sören die Hand. «Herr Doktor Bischop? Angenehm. Leutnant Rosskopf. Wir sind mit der Aufnahme so weit fertig. Nach dem, was wir vorgefunden haben, lässt sich schon so viel sagen: Da war ein Profi am Werk. Die Art, wie man Ihren Panzerschrank geknackt hat … Wer auch immer es war, er hat’s nicht zum ersten Mal gemacht. Ich kann nur hoffen, es war nicht zu viel Bargeld im Tresor.»
Polizeileutnant Rosskopf überragte Sören um Haupteslänge.Er hatte die Statur eines Athleten. «Ich wurde gerade verständigt, ärgerliche Sache», sagte Sören.
Rosskopf machte eine einladende Handbewegung. «Sie können gerne hereinkommen. Mit der Aufnahme möglicher Spuren sind wir fertig. Ich warte jetzt nur noch auf den Fotografen. Haben Sie einen Verdacht?»
Sören blickte ins Zimmer und erschrak. Fräulein Paulina hatte nicht übertrieben. Ihm offenbarte sich wirklich ein heilloses Durcheinander. Sämtliche Schubladen waren aus den Registraturen gezogen, und der Inhalt lag auf dem Fußboden verstreut. Im selben Augenblick verkrampfte sich sein Magen. Er wusste nur zu genau, was das zu bedeuten hatte. Es konnte kein Zufall sein. Der Kerl musste ihm gestern doch bis hierher gefolgt sein. Dabei hatte er so viele Haken geschlagen. Was, verdammt nochmal, war so wichtig an den Papieren von Otte? Nicht er war das Ziel gewesen. Die Unterlagen waren der Grund, warum der Mann ihm gefolgt sein musste. Aber um dies zu erklären, war es der falsche Moment. Er schüttelte den Kopf.
«Es
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