Die Schattenflotte
reinzulotsen. Angeblich war das ja nicht so eine Spelunke, sondern etwas Besonderes … Na, und er kannte da anscheinend jemanden. Und so haben wir gewartet. Hat ein wenig gedauert, etwas zu lange, wie wir fanden. Jedenfalls hörten wir eine Tür schlagen, und es begann diese Schreierei. Im Dunkeln tauchte dann der Kerl auf, der die Frau hinter sich herzog. Er rief die ganze Zeit, sie solle still sein und er werde sie jetzt mitnehmen. Sie hat dauernd versucht, sich von ihm loszureißen, hat nach ihm getreten, aber das hat ihn überhaupt nicht beeindruckt. Als sie an uns vorbeikamen, hat sich David ihnen dann in den Weg gestellt. Dann ging auch schon die Keilerei los. Der Kerl hat wie von Sinnen um sich geschlagen.»
«Und die Frau?»
«Als er sie losgelassen hatte, ist sie davongerannt. Zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ich glaube, dass er ihr noch hinterhergerufen hat, er würde wiederkommen und sie finden oder so ähnlich … Na ja, und dann ist er auf David los. Aber der hat nicht lange gezögert und ihn umgehauen. Nach ein paar Minutenist der Kerl wieder zu sich gekommen, hat irgendetwas Unverständliches geflucht und ist abgehauen.»
«Wohin?»
«Der Frau hinterher. Wir haben dann kurz beratschlagt, was wir machen sollen, und Peter meinte schließlich, es wäre gescheiter, die Fliege zu machen. Einige Luden hätten unangenehme Freunde, und es sei durchaus denkbar, dass der Kerl mit Verstärkung zurückkomme.»
«Wie seid ihr darauf gekommen, dass der Kerl ein Lude war?»
«Na hör mal.» Schmidlein machte ein empörtes Gesicht. «Wie der sich aufgeführt hat! Und dass sie ein leichtes Mädchen war, war offensichtlich. So, wie sie zurechtgemacht war, ihre Kleidung …»
«War sonst noch jemand auf dem Hof? Jemand, der euch beobachtet haben könnte?»
«Nein. Bestimmt nicht.»
«Gab es Fenster zum Hof?»
Willi Schmidlein zuckte unschlüssig die Achseln.
«Kannst du dich noch daran erinnern, wo der Hof genau war?»
«Keine Ahnung, ich bin doch nicht von hier. Wir sind einfach dem Hans hinterher.»
«Aber wiedererkennen würdest du den Platz?» David hatte erwähnt, sie seien von der Thalstraße abgebogen. Dort gab es zwar Hinterhöfe in großer Menge, aber einen Versuch konnte es trotzdem wert sein.
Schmidlein nickte. «Ich glaube schon.»
«Und die Frau?»
«Gut möglich. Es war zwar schummrig, und ihr Gesicht sah ziemlich verheult und derangiert aus … Aber ihre Stimme, an die erinnere ich mich genau. Sie war irgendwie krächzend und rau.»
«Du musst zur Polizei und eine Aussage machen.»
Schmidlein schüttelte vehement den Kopf. «Die werden mir nicht glauben.»
«Sie müssen es zu Protokoll nehmen. Niemand kennt dich. Dein Name steht nicht auf den Fahndungslisten der Polizei. Es ist die Aussage eines unbeteiligten Zeugen. Mach es deinem Kumpel David zuliebe. Man geht bislang davon aus, dass er Simon Levi totgeschlagen hat.»
Nachdem Sören ihm alles erzählt hatte, was in der Zwischenzeit geschehen war, willigte Schmidlein schließlich ein. «Und außerdem brauchst du eine andere Unterkunft. In der Nähe des roten Peter läufst du am ehesten Gefahr, in Schwierigkeiten zu kommen.»
Er wollte Willi Schmidlein gerade anbieten, sich vorübergehend bei ihm in der Feldbrunnenstraße einzuquartieren, als er merkte, dass sie von einem Augenpaar beobachtet wurden. Sören erschrak. Der Mann, der an der Theke der Kaffeeklappe lehnte, war eindeutig der Kerl aus dem Hotel, auch wenn er genau wie Sören die Kleidung eines Hafenarbeiters trug. Keine Frage, der Kerl war hinter ihm her. Was wollte er von ihm? Nur die Papiere von Otte? Schmidlein gegenüber hatte er den mysteriösen Tod des bislang einzigen Zeugen nicht erwähnt. Noch mehr aber beschäftigte ihn die Frage, wie der Kerl ihn hatte ausfindig machen können. So gut wie niemand wusste davon, dass er hier war. Und vorhin auf der Barkasse war der Typ ganz sicher nicht gewesen. Es blieb eigentlich nur eine Möglichkeit übrig, und die lautete, dass er beschattet wurde – und zwar rund um die Uhr.
Sören beugte sich Willi Schmidlein vertraulich entgegen. «Es gibt da übrigens noch ein anderes Problem.»
Geheime Konten
Sören hätte den restlichen Abend lieber gemeinsam mit Tilda am heimischen Kamin verbracht, aber jetzt musste er dringend mit Martin sprechen. Nicht nur wegen der Unterlagen, sondern vor allem darüber, was Schmidlein ihm soeben hatte ausrichten lassen. Es war zwar nur ein Zettel, den der Bote
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