Die Schattenflotte
gebracht hatte, aber die darauf notierte Adresse hatte es in sich.
Willi Schmidlein war sofort einverstanden gewesen. Nicht nur wegen des Quartiers, das Sören ihm in Aussicht gestellt hatte. Für ihn war es eine Ehrensache gewesen. Sören hatte ihm genug Geld für vielleicht notwendige Droschkenfahrten und einen Boten gegeben, bevor sie sich an der Kaffeeklappe getrennt hatten. Es hatte also tatsächlich funktioniert. Sie hatten den Spieß einfach umgedreht und den Verfolger zum Verfolgten gemacht. Sören wollte Gewissheit haben, wer der Mann war, der ihn beschattete. Das wusste er jetzt zwar immer noch nicht, aber es gab kaum einen Zweifel, für wen er arbeitete. Die Adresse, die der Mann aufgesucht hatte, nachdem Sören heimgefahren war, kannte er nur zu genau. Sören war zutiefst beunruhigt, jetzt bekam die Angelegenheit wirklich bedrohliche Züge.
Er hatte sich für den nächsten Nachmittag mit Willi Schmidlein vor dem Panoptikum verabredet. Bevor Schmidlein bei der Polizei seine Aussage machte, wollte Sören sich vergewissern, dass der Hinterhof in derSchmuckstraße, in dem man die Leiche von Simon Levi gefunden hatte, tatsächlich der Ort war, an dem David den Mann niedergeschlagen hatte. Vorher musste Sören noch mit Lisbeth sprechen und sie davon in Kenntnis setzen, dass Schmidlein für eine gewisse Zeit im Haus in der Gertrudenstraße unterkommen würde. Er war sich sicher, dass sie nichts dagegen einzuwenden hatte. Platz gab es dort schließlich genug, und wahrscheinlich war Lisbeth sogar froh, wenn sie ein wenig Gesellschaft bekam. Schmidleins Unterbringung hier in der Feldbrunnenstraße war jedenfalls zu heikel, zumal er davon ausgehen musste, dass das Haus überwacht wurde, solange er hier war. Sören hatte zwar nichts Auffälliges entdecken können, als er vorhin vom Schlafzimmerfenster aus vorsichtig einen Blick auf die Straße geworfen hatte, aber das wollte nichts heißen.
Er musste Tilda dreimal versprechen, auf sich Acht zu geben, dann nahm er das Fahrrad und trat wie von Sinnen in die Pedale. Erst in nördliche Richtung, dann kreuzte er die Heimhuderstraße und fuhr den Heimweg bis zum Mittelweg, schlug einen letzten Haken über Böttgerstraße und Magdalenenstraße und bog trotz des riesigen Umwegs nach nur wenigen Minuten Fahrzeit in die Alte Rabenstraße ein. Zweimal hatte er außerdem angehalten, um sich zu vergewissern, dass ihm niemand gefolgt war, was aber bei dem Tempo, das er vorgelegt hatte, so gut wie unmöglich schien. Sören fühlte sich, als hätte er soeben das Sechstagerennen beendet. Schweißgebadet betätigte er Martins Glocke.
«Du bist ja völlig außer Atem», begrüßte Martin ihn, nachdem er die Tür hinter Sören geschlossen hatte.
«Komme ich ungelegen?», fragte Sören. Martin trug nur einen Hausmantel und Puschen, was ungewöhnlich war.
«Ich wollte mir gerade ein Bad einlaufen lassen.» Er machte eine abwertende Handbewegung. «Aber das kann warten. Was gibt’s denn?»
«Ich werde verfolgt.»
Martins Gesicht verfinsterte sich. «Verfolgt?», fragte er. Gleich darauf löschte er das Licht im Entree und warf einen kontrollierenden Blick durch das schmale Fenster neben der Garderobe.
«Nein, nicht bis hierher», beruhigte ihn Sören. «Ich hätte ihn abgehängt. Bin gefahren wie der Teufel.»
«Wer verfolgt dich?»
«Ich kann es selbst kaum glauben.» Sören presste die Lippen aufeinander. «Aber ich bin mir ziemlich sicher.»
«Mach es nicht so spannend.»
«Der Kerl aus dem Hotel», antwortete Sören.
«Ja und? Das weißt du doch. Er ist hinter den Papieren her. Der Einbruch in deine Kanzlei wird auch auf sein Konto gehen.»
«Sicher.» Sören nickte. «Wenn es nur das wäre …, aber ich muss davon ausgehen, dass der Kerl ein Vigilant der Polizei ist.»
«Was?» Martin schaute Sören entgeistert an. Dann schüttelte er den Kopf und deutete auf die Tür zum Herrenzimmer. «Da ist noch Glut im Kamin. Leg zwei neue Scheite auf. Ich zieh mir nur schnell was an.»
Es dauerte keine Minute, bis die Glut das trockene Eichenholz entzündet hatte. Die Flammen züngelten gierig um die Scheite. Knisternd spritzten Funken umher, dann beruhigte sich das Feuer, und schon kurze Zeit später breitete sich behagliche Wärme im Raum aus. Obwohl Martin ungewöhnlich aufgeregt wirkte, hatte er es sich nicht nehmen lassen, eine Flasche Rotwein zu öffnen.«Und woher weißt du das?», fragte er, während er den Inhalt der Flasche behutsam in eine Karaffe
Weitere Kostenlose Bücher