Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
Vom Netzwerk:
seit Altona und Hamburg beide dem Reichszoll unterlagen, machte Schmuggel keinen Sinn mehr.
    Sören betrachtete das Haus neben dem Torweg, und sein Blick tastete sich die Fassade empor. Genau wie zur Hofseite wirkte es unbewohnt. Die wenigen Glasscheiben,welche die Steinwürfe Jugendlicher überlebt hatten, waren von einer dicken Staubschicht überzogen. Dahinter waren die Fenster auch auf dieser Seite mit Brettern vernagelt. Ein Blick auf den Eingang bestätigte Sörens Vermutung, dass das Haus leer stand. Hier war lange niemand mehr ein und aus gegangen. Die Tür war vernagelt, und die Spinnweben am Rahmen bezeugten, dass sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr geöffnet worden war. Sören machte einen tiefen Atemzug. Wahrscheinlich war das Haus sogar einsturzgefährdet.
    Ein kurzer Blick hinter das Haus begrub die stille Hoffnung, dass es vielleicht noch einen weiteren Eingang geben könnte. Direkt an der Brandmauer verlief der alte Grenzweg. Hier gab es weder Fenster noch Türen. Sören ging zurück auf die Straße und warf erneut einen Blick auf St.   Joseph. Das Schauspiel war beendet, die leuchtenden Strahlen der Fassade waren versiegt. Allein das Kreuz schimmerte in einem Rest von Abendrot. Es fiel ihm schwer, den Blick loszureißen. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie etwas übersehen hatten. Etwas, das zum Greifen nah lag. Etwas, das vielleicht nur seine Augen wahrgenommen, er aber nicht wirklich registriert hatte. Ein letzter Blick auf die Fassade des Hauses, dann durch den Torweg in den Hof, in dem es schon dämmrig wurde. Nein, da war nichts Auffälliges. Dennoch war er sich sicher, dass seine Augen etwas Wichtiges gesehen hatten.

Der Schulfreund
    Die Temperaturen waren immer noch viel zu mild für die Jahreszeit, aber der Nordwestwind hatte wie angekündigt zugelegt, und Sören bereute es deshalb nicht, das Fahrrad zu Hause stehen gelassen zu haben. Außer ihm war an der Haltestelle kein weiterer Fahrgast zugestiegen, er konnte somit ausschließen, dass ihm jemand folgte. Die Fahrt über hatte er spekuliert, ob der Wintereinbruch noch kommen würde. Ilka hatte sich so auf den Schnee gefreut, der bislang ausgeblieben war. Wenn man von den vereinzelten Flocken absah, die vor ein paar Wochen vom Himmel gerieselt waren und den Boden für wenige Minuten bedeckt hatten, dann hatte die Natur die weiße Jahreszeit in diesem Jahr einfach übersprungen. Bei diesen Gedanken fiel Sören abermals ein, dass der Besuch auf der Eisbahn immer noch ausstand. Er verdrängte die familiären Verpflichtungen von Tag zu Tag mehr – aber war das ein Wunder bei dem, was um ihn herum geschah?
    Willi Schmidlein hatte wie vereinbart seine Aussage gemacht. Sören hatte es so arrangiert, dass er sich mehr oder weniger zufällig in dessen Nähe aufhalten konnte, aber seine Sorge, dass man Schmidlein wider Erwarten hätte arrestieren können, war unbegründet gewesen. Alles war so gelaufen, wie Sören es stillschweigend erhofft hatte. Allerdings bezweifelte er, dass die Staatsanwaltschaft ihre Anklage aufgrund dieser Aussage fallen ließ. Mit Dr.Göhle zu sprechen war noch zu früh, auch wenn es Sören in den Fingern juckte. Jetzt hieß es erst einmal, Geduld zu bewahren. Schmidlein hatte wohl zwischenzeitlich mit Peter Schulz gesprochen und versucht, ihn ebenfalls zu einer Aussage zu überreden. Aber anscheinend war er mit diesem Vorschlag abgeblitzt. Das hatte zumindest seine Reaktion verraten, als Sören ihn darauf angesprochen hatte. Eine weitere Zeugenaussage hätte die Situation eindeutig zu Davids Vorteil verschoben, aufgrund des Vorstrafenregisters von Peter Schulz war es aber durchaus nachvollziehbar, dass er sich dem verweigerte. David ging es nicht schlecht, den Umständen entsprechend. Er war guten Mutes, als Sören ihm berichtete, dass sein Kumpan eine Aussage gemacht hatte. Mehr Details hatte er ihm nicht verraten – auch, um ihn nicht zu verunsichern.
    Willi Schmidlein war inzwischen auf dem Weg zur Werft, um seine Anstellung zu besiegeln, und Sören überlegte, ob es wirklich sinnvoll war, die Einladung seines ehemaligen Schulkameraden gerade heute in Anspruch zu nehmen. Die schlaflose letzte Nacht machte sich bemerkbar. Immer wieder war er aufgewacht und hatte sich mit der Frage gequält, was er übersehen hatte. Vor allem die Frage, was Simon Levi und Waldemar Otte in der Thalstraße zu suchen gehabt hatten, ließ ihm keine Ruhe. War es Zufall, dass sie beide in der Silvesternacht am gleichen Ort gewesen waren, oder

Weitere Kostenlose Bücher