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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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hatten sie sich womöglich sogar gekannt? Wenn dem so war, dann hätte die Anzeige von Otte anders aussehen müssen. Er hatte gesehen, wie Levi von David und den anderen Männern niedergeschlagen worden war. Deshalb war die Suche nach den Tätern auch gezielt gewesen. Aber er konnte nicht gesehen haben, wer Levi getötet hatte. Sonst hätte er David nicht identifiziert. Nach allem, was er nun wusste, und Sören zweifelte keinenAugenblick mehr an der Version, die David und Willi Schmidlein ihm erzählt hatten, war Levi der Frau hinterhergelaufen oder zumindest in die gleiche Richtung verschwunden. Er war also noch am Leben gewesen. Wenn man nun annahm, dass er einer betrügerischen Hure aufgesessen war, dann konnte es nur so sein, dass er kurze Zeit später mit deren Zuhälter aneinandergeraten war, der ihn erschlagen hatte. War das ebenfalls in diesem Hof geschehen, oder hatte man den Toten dort nur versteckt? Wenn ja, warum genau dort? Um die Spur auf einen anderen zu lenken? Auf die Gruppe von jungen Männern, die man zuvor beobachtet hatte, als sie eine Auseinandersetzung mit Levi gehabt hatten? Weil man wusste, dass dieser Kampf von einem Zeugen beobachtet worden war? Hatte Waldemar Otte womöglich bewusst eine Falschaussage gemacht, um jemand anderen zu schützen? Oder steckte er gar mit dem Täter unter einer Decke? Kam er selbst als Täter in Frage? Sörens Gedanken schossen schon wieder wirr durcheinander, wie letzte Nacht. Das ergab alles überhaupt keinen Sinn, und er versuchte erneut, sich von solchen Überlegungen zu befreien.
    Was blieb, waren die Informationen, die er von Schmidlein über die Tätigkeiten auf den Werften und die zurzeit im Bau befindlichen Schiffstypen erhalten hatte. Die technischen Angaben und Maße in Ottes Unterlagen passten demnach nicht zusammen. Zumindest nicht, wenn es sich um einen Bau für die Marine handelte. Für einen Passagierdampfer war die Länge zwar zu gering, aber vielleicht handelte es sich um ein Schiff für ein ganz spezielles Einsatzgebiet. Die Hapag und auch der Lloyd waren dabei, sich immer stärker zu spezialisieren. Sören hatte die Kreuzfahrtschiffe vor Augen. Vielleicht plante man eine Schnellverbindung nur für ein zahlungskräftigesPublikum. Oder plante man insgeheim doch, die Wettfahrten über den Atlantik erneut aufzunehmen? Dazu würde auch die Geschwindigkeit von 24   Knoten passen, von der die Rede war. Ballin hüllte sich in Schweigen, und Sören bezweifelte, dass hierzu noch etwas aus ihm herauszubekommen war. Aber wenn die Hapag tatsächlich etwas in Planung hatte, wovon die Öffentlichkeit – aus welchem Grund auch immer – vorerst nichts erfahren durfte, dann stellte sich die Frage, wie lange die Geheimhaltung eines solchen Projektes aufrechterhalten werden konnte, denn Schiffe in der vorliegenden Größenordnung ließen sich nicht unbemerkt bauen.
    Wenn ein Nichteingeweihter von solchen Plänen etwas wissen konnte, dann war es Adolph Woermann. Als Reeder sollte er einen Überblick darüber haben, welche Konkurrenz es derzeit auf den Weltmeeren gab, und Adi hatte zudem jahrelang im Aufsichtsrat von Blohm + Voss gesessen. Die Hamburger Werft tauchte ebenfalls im Verteiler von Ottes Briefen auf. Allein deshalb war es möglich, dass Woermann von den Dingen Kenntnis hatte.
    Wie häufig Sören bereits am Firmensitz der Woermann-Linie vorbeigegangen war, vermochte er nicht zu sagen. Heute war es jedenfalls das erste Mal, dass er das neue Kontorhaus in der Großen Reichenstraße genauer in Augenschein nahm. Normalerweise eilte man über die Bürgersteige einem Ziel entgegen, schaute auf die Menschen in den Straßen und wagte einen Blick in die Schaufenster und Auslagen der Geschäfte, aber die Architektur der Häuser und ihre neuerdings kunstvoll gestalteten Fassaden nahm man nur wahr, wenn die Gebäude an exponierter Stelle standen oder in der Blickachse auf eine andere städtebauliche Besonderheit lagen, wie etwa das Rathaus, die Kunsthalle, die Seewarte mitdem Hafenblick am Stintfang oder das Panorama der Alster.
    Seinen neuen Firmensitz hatte sich Adolph Woermann von Martin Haller bauen lassen. Von wem sonst? Es war allerdings etwas Besonderes, wenn man den Rathausbaumeister privat beauftragte – in gewissen Kreisen war es aber auch verpflichtend, wenn man etwas auf sich hielt. In dieser Hinsicht hatte sich Adi nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, schließlich hatte Haller auch den zwei Jahre zuvor fertiggestellten Neubau der

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