Die Schattenflotte
sie in einen Kellerraum, an dessen Ende ein Bretterverschlag zu sehen war. Auch hier gab es elektrisches Licht. Hinter dem hölzernen Gatter stand nur ein voluminöser Schrank, dessen eine Tür offen stand. Man sah, dass er leer war.
«Raffiniert durchdacht», flüsterte Sören und öffnete den Verschlag. Als er vor sich auf den Boden blickte, wusste er, dass sie richtig waren. Es war eine hellbraune, schlammige Brühe, durch die man gehen musste. Wahrscheinlich verursacht durch Grundwasser oder einen unterirdischen Flusslauf, dessen Feuchtigkeit durch das Fundament oder die Mauern den Weg in das Gewölbe gefunden hatten. Sören dachte an die mit Schlamm verschmierten, feuchten Schuhe von Simon Levi, über die er sich gewundert hatte, weil die restlichen Kleidungsstücke des Toten völlig trocken gewesen waren. Nun wusste er, warum. Vielleicht wurde der schlammige Untergrundsogar absichtlich nass gehalten, damit sich keine Fußabdrücke abzeichneten. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, und nach all den Indizien zweifelte er keinen Augenblick mehr daran, dann musste hier unten manchmal ein ziemlicher Verkehr herrschen.
Er brauchte nicht lange, um den Mechanismus zu finden, mit dem man die Rückwand des Schrankes öffnen konnte. Wie von Geisterhand bewegt klappte die Wand beiseite. Vor ihnen lag ein finsterer, knapp mannshoher Tunnel, an dessen Seiten ein paar Grubenlampen spärliches Licht spendeten. Alle paar Meter waren Stützhölzer eingeschlagen. Zwischen den Ständern und Schalbrettern tropften kleine Rinnsale von den Wänden. Auf dem Boden lagen zwei Reihen Bretter.
«Na, dann woll’n wir mal», sagte Sören im Flüsterton und ging voran. Das Ende des Tunnels konnte man nicht erkennen. Er rechnete jeden Augenblick damit, dass ihnen Fledermäuse entgegenflattern müssten, aber nichts dergleichen geschah. Es herrschte Totenstille. Vorsichtig tasteten sich die Männer vor. Der Tunnel machte eine leichte Kurve. Sören erinnerte sich, dass die Häuser an der Straße nicht in einer Flucht standen. Als sie die Biegung hinter sich hatten, konnte man Licht am Ende des Tunnels erkennen. Der ausgeschachtete Stollen musste eine Länge von knapp dreißig Metern haben.
Der unterirdische Gang mündete in einen hellen, frisch getünchten Kellerraum, von dem aus eine breite, geschwungene Treppe in die oberen Stockwerke führte. Entfernt konnte man Stimmen vernehmen. Sören presste den Zeigefinger an die Lippen und gab den anderen zu verstehen, ruhig zu bleiben. Behutsam stiegen sie nach oben. Mit jedem Schritt stieg die Gefahr, entdeckt zu werden. Die Stimmen wurden lauter, aber man konntenicht heraushören, wie viele Männer es waren, geschweige denn, worüber sie sprachen.
Sören reckte den Hals. Soweit er erkennen konnte, glich der Raum über ihnen einer großen Halle. Die Wände waren getäfelt, und an der Decke hingen mehrere elektrisch betriebene Kristallleuchter. Ganz im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild war das Innere des Gebäudes mit vornehmer Staffage dekoriert. Keine Frage, sie betraten den gediegen eingerichteten Salon eines geheimen Etablissements. Dunkle Samtvorhänge verwehrten von innen den Blick auf die vernagelten Fenster. An der einen Seite des Raumes konnte Sören einen langen Tresen und eine Bar erkennen, davor standen zwei Billardtische.
Von den Männern war immer noch nichts zu sehen. Sören spekulierte, ob sie bewaffnet sein könnten, und tastete im gleichen Augenblick nach seinem Revolver. Er hatte noch nie auf einen Menschen geschossen, aber er war sich sicher: Wenn es sein musste, würde er es tun. Das Geländer des Treppenaufstiegs ging in eine hölzerne Balustrade über, die ihnen Schutz gewährte.
Endlich konnte er die Männer erkennen. Es waren nur drei, und sie saßen in einer Nische im hinteren Bereich des Raumes. Anscheinend spielten sie Karten. Mehrere kleine Paravents boten einen Sichtschutz, dennoch war die Entfernung zu groß, als dass sie die Männer von ihrem Standpunkt aus überraschend hätten überwältigen können. Sören gab den anderen ein Zeichen und zog seinen Revolver. Edgar hatte ebenfalls eine Schusswaffe dabei und tat es Sören gleich.
Die letzten drei Stufen sprang Sören mit einem Satz hinauf, dann richtete er seine Waffe auf die Männer und rief: «Ganz ruhig, Leute. Hände hoch! Nicht bewegen!»
Im gleichen Augenblick hasteten Schmidlein und Juppzu den Kerlen, blieben allerdings wenige Meter vor ihnen stehen. «Auf den Boden mit euch! Wo ist die
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