Die Schattenflotte
schlecht», entgegnete Sören. «Komm rein, ich muss mit dir sprechen. Es ist etwas vorgefallen.»
«So eine Schweinerei!» Schmidlein schlug wütend mit der Faust auf den Tisch, nachdem Sören ihn in kurzen Zügen über alles informiert hatte. «Auf jeden Fall benötigen wir ein paar Männer. Lass das meine Sorge sein. Ich trommele die Genossen zusammen. Wo treffen wir uns?»
«In dem Hofdurchgang an der Schmuckstraße.»
«Gut, gib mir eine Stunde Zeit.»
Der Tunnel
Sören wartete noch eine Weile, blickte ungeduldig zur Uhr, aber als Martin nichts von sich hören ließ, beauftragte er schließlich Agnes, Martin auszurichten, wo er ihn finden könne, und machte sich alleine auf den Weg nach St. Pauli.
Es waren allesamt riesige Kerle, die Willi Schmidlein zusammengetrommelt hatte, jeder von ihnen mindestens einen Kopf größer als der schmächtige Rotschopf, der sie mit Sören bekannt machte. August, Edgar, Heinrich, Jupp, Leute von der Werft. Da es Freunde des roten Peters waren, waren sie bestimmt alle Sozialdemokraten, vermutete Sören. Es waren mehr als zehn. Einige hatten eine kurze Eisenstange oder einen Knüppel bei sich, Jupp schlug rhythmisch mit einem Totschläger in die eigene Hand. Sie sahen verwegen aus und blickten grimmig und wütend drein. Man hätte sie für Mitglieder einer gefürchteten Räuberbande halten können, und Sören zweifelte keinen Augenblick daran, dass so mancher von ihnen bereits mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Für einen kurzen Moment war er unsicher, ob dies der richtige Weg war, dann schob er seine Zweifel beiseite.
«Wenn eine Genossin in Not ist, dann fackeln wir nicht lange», erklärte August, ein Bulle von einem Kerl. Die anderen pflichteten seinen Worten entschlossen bei.
Sören klärte sie darüber auf, was er vorhatte. Zwei Männer blieben zur Sicherheit im Hof, falls jemand versuchensollte, durch die verbarrikadierte Tür des Hinterhauses zu fliehen, mit den anderen machte er sich in Richtung Grenzgang auf. Im Parterre des Hauses brannte Licht.
«Und wenn keiner öffnet?», fragte Jupp.
«Das lass dann mal meine Sorge sein», erklärte August und reckte die Schultern.
An der Haustür waren zwei Schellen angebracht, und Sören überlegte, welche davon zu betätigen war und ob es ein geheimes Klingelzeichen gab. Bestimmt musste es eins geben.
«Nimm beide», meinte Edgar schließlich – und dann im Befehlston: «Die anderen, ab hinter die nächste Ecke. Willi, leg dich auf den Boden. Gesicht nach unten.» Die Männer taten, was Edgar sagte. Anscheinend war er auch sonst ihr Anführer. Sören spürte, dass sie so etwas nicht das erste Mal machten. Dann klingelte Edgar Sturm.
Nach einer Weile öffnete sich ein Fensterflügel, und eine dumpfe Männerstimme war zu hören: «Sach ma, bist du bescheuert, Mann! Weissu, wie spät das is?»
«Hier liegt einer auf dem Boden», antwortete Edgar. «Der blutet. Ich brauch mal Hilfe.»
«Schon gut. Ich komm ja schon runter.» Der Fensterflügel wurde geschlossen, und im gleichen Augenblick schlichen August und ein weiterer, ebenso kräftiger Kerl aus ihrem Versteck und postierten sich zu beiden Seiten der Eingangstür. Als sie geöffnet wurde, ging alles ganz schnell und lautlos. Der Mann, der die Tür öffnete, war beileibe nicht klein, aber er hatte nicht mit dem gerechnet, was nun geschah. August presste ihm eine seiner mächtigen Pranken auf den Mund und riss seinen Kopf nach hinten. Mit der anderen Hand griff er gleichzeitig nach dem rechten Arm des Mannes und bog ihn zur Seite. Der Kerl taumelte, von beiden Seiten bedrängt, rückwärtszurück durch die Tür, die wieder ins Schloss fiel. Was dahinter geschah, konnte man nur erahnen. Kurz darauf wurde sie erneut geöffnet, und das Gesicht von August war zu erkennen. «So. Fertig. Luft ist rein. Und ’ne Kellertür gibt’s hier auch.» Er grinste.
Die hölzerne Kellerstiege knarrte unter den Schritten der Männer. Bis auf den Umstand, dass es hier elektrische Beleuchtung gab, war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Vor ihnen lag das typische Kellergewölbe eines Zinsmietshauses aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die meisten der Männer mussten darin den Kopf einziehen. Sören brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Auf der Linken lag ein großer Haufen Koks, darüber war die Luke des Kohlenschachts zu sehen. Er ging an der großen Rutsche vorbei in östliche Richtung. Die Männer folgten ihm. Keiner sagte ein Wort. Schließlich gelangten
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