Die Schattenfrau
mit Jakobsson. Auch ihn hatte dieser Elan gepackt, diese Möglichkeit, plötzlich mit den Ermittlungen voranzukommen. Sie waren ein Stück näher dran. Es war, als habe man die Witterung aufgenommen, ein Geruch, der immer stärker werden würde, je näher sie dem Ziel kämen, überlegte Winter.
»Ich glaube nicht, dass er weiß, in was er da geraten ist«, meinte Ringmar. »Das ist ein gerissener Bursche.«
»Nicht gerissen genug«, wehrte Ringmar ab. »Für so was nicht. Jakobsson ist ein kleiner Gauner.«
»Die können mal in einer Panikreaktion... « »Gewiss. Aber... Tja, nein, das passt nicht.« »Möllerström hört sich jedenfalls mal in seinem Bekanntenkreis um.« »Der dürfte recht groß sein«, sagte Ringmar. »Nicht so groß, wie man erwarten würde.«
»Kommt drauf an, wie man es sieht. Hast du gewusst, dass unser Oskar früher mal Motorrad gefahren ist?«
»Ja«, sagte Winter, »auch wenn man sich das heute nur noch schwer vorstellen kann.«
»Er war sogar in einer Motorradgang. Irgendeine lokale Variante der Hell's Angels, aber sogar die haben ihn rausgeschmissen, glaube ich.«
»Das hör ich die ganze Ermittlung über«, grübelte Winter. »Was?«
»Nichts. Es ist nur... «
Ringmar blickte seinen jüngeren Vorgesetzten an. Winter hatte Ränder unter den Augen, bei bestimmter Beleuchtung sah es aus, als hätte er ein blaues Auge. Das lange Haar fiel ihm inzwischen bis auf die Schultern.
»Vielleicht denke ich zu viel«, sagte Winter. »Vielleicht ist Jakobsson nur ein unschuldiger Zuschauer.«
»Unschuldiger Bote«, gab Ringmar zurück. »So was gibt's doch nicht, einen unschuldigen Boten.« »Wollen wir ihn zum Teufel jagen?«
»Meinetwegen, aber erst soll Cohen ihn noch ein wenig in die Mangel nehmen.«
Winter blätterte in den Abschriften. Die Worte stürmten auf ihn ein. In den letzten zwei, drei Jahren hatte er solche Verhörprotokolle nur mit einem vagen Widerwillen gelesen, als wären sie Fiktion, einer Welt entsprungen, zu der er keinen Zugang hatte. Diese Gespräche waren sowohl Dichtung als auch Spiel, und beide Partner wussten, dass es so war. Ein Krieg im Geiste, während die Wirklichkeit, um die es eigentlich ging, gar nicht vorkam - bis die Erschöpfung dafür sorgte, dass die Fantasiegebäude in sich zusammenfielen und die nackte Bosheit zum Vorschein kam. Die Wahrheit blitzte manchmal nur für Sekunden auf, bevor sich die Fantasie wieder Bahn brach. Und wenn er, oder wer auch immer das Verhör führte, dann nicht sofort nachfasste, waren sie die Verlierer - für den Augenblick und vielleicht für immer.
Er hatte lange über diesen Wortgefechten früherer Jagden gebrütet und darüber gestaunt, wie sich die Stimmen ähnelten, die ihn mit sich in den Abgrund reißen konnten wie ein Windstoß. Ein Windstoß. Die Stimmen waren für ihn wie dieser Wind, und die Worte waren wie Steine, die vom Sturm mitgerissen wurden. Genauso war es. Die Worte waren Steine, und die Stimmen waren wie der Wind. Wenn man die Augen schloss, konnte man dem Tosen lauschen und von den Worten getroffen werden. Tödlich getroffen, wenn man sich nicht schützte.
»Er sagt, die Frau könnte vierzig oder auch erst fünfundzwanzig gewesen sein.«
»Daran war vielleicht die Sonnenbrille Schuld«, meinte Ringmar. »Wenn sie denn eine trug. Wenn sie überhaupt existiert.«
»Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass jemand einen anderen vorschickt«, sagte Winter. »Unser Jakobsson bekommt seinen Auftrag von einem, der ihn wiederum von jemand anders erhalten hat, der seinerseits angesprochen wurde vom... Mörder.
«
»Ja, das ist eine ganz gewöhnliche Vorgehensweise unter Kriminellen«, stimmte Ringmar ihm zu.
»Wir müssen uns also an der Kette in umgekehrter Richtung entlanghangeln«, fasste Winter seine Erkenntnis zusammen.
»Er hätte es gleich zugeben sollen«, meinte Ringmar. »Wie und von wem.« »Das hab ich auch gedacht.«
»Wenn er wirklich nur diesen Gefallen aus geführt und sonst nichts damit zu tun hat, hätte er es uns gleich sagen müssen.«
»Ja.«
»Also kennt er die Person, die ihm den Auftrag gegeben hat. Die Frau, wenn es eine Frau ist.«
»Vielleicht.«
»Es ist ja auch nicht sicher, ob Geld dabei im Spiel war.« »Nein.«
»Wir müssen ihn uns noch mal vornehmen«, seufzte Ringmar. »Aber lass ihn diesmal rechtzeitig gehen und Wasser lassen.«
Die Fahndungsmeldung war landesweit verbreitet worden. Wellman rechtfertigte die Verzögerung, und er machte es gut. Winter würde
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