Die Schattenfrau
da, hinter einer dünnen Gardine. Ein Gesicht und ein Oberkörper. Aber so dunkel. Winter schwitzte und wischte sich ärgerlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich schneide den Mist ab, fluchte er.
Nachdenklich betrachtete er den Schemen. Ob sie in Dänemark die Silhouette gesehen hatten? Bestimmt. Winter riss den Umschlag ganz auf und fand den Begleitbrief, der an der Innenseite hängen geblieben war. Er überflog ihn. Michaela hatte etwas über die Gestalt im Fenster geschrieben. »Wir setzen unser blow up fort«, schrieb sie. »Wir wissen nicht, wer das ist.«
Das vierte Bild war wohl nur Sekunden nach dem zweiten aufgenommen worden. Die Frau und das Kind standen vor der Tür. Die Gestalt im Fenster war fort. Winter starrte auf die beiden Rücken, den großen, den kleinen.
Die fünfte Fotografie zeigte das Haus in der stärksten Vergrößerung, grob gerastert, undeutlich. Vielleicht war sie erst eine Minute nach den anderen gemacht worden. Der fotografierende Lokalredakteur hatte bei seiner Dokumentation kurz pausiert. Dann hatte er ein letztes Mal geknipst. Im Fenster war ein Mann zu sehen. Er hatte die Gardine ein Stück weggezogen, als wolle er nachschauen, was da eigentlich draußen vor sich ging. Ein Moment der Unvorsichtigkeit. Ein verräterischer Augenblick.
Der Mann sah aus, wie Winter sich einen jungen Georg Bremer vorstellte: Er hatte einen Schnurrbart. Und eine Mütze auf, die tief in die Stirn gezogen war. Wahnsinn, dachte Winter. Was für ein Wahnsinn.
Das Handy meldete sich. Es war seine Mutter.
»Papa geht es schlecht«, sagte sie.
»Das ist keine gute Nachricht.« Winter steckte die Bilder in den Umschlag zurück und legte den Begleitbrief in eine Mappe in seiner Schreibtischschublade. »Was hat er denn?«
»Er hat sich am Nachmittag nicht wohl gefühlt, und wir baten Magnergä... , einen Arzt, der hier in der Gegend wohnt, herzukommen. Er hat uns geraten, in die Klinik in der Stadt zu fahren.«
Winter versuchte, sich Marbella vorzustellen, schaffte es aber nicht. Er hatte nur einmal den Stadtplan im Internet gesehen. »Und was haben sie gesagt?«
»Ich rufe von dort an. Die Ärzte haben ihn untersucht und ein EKG gemacht, haben aber nichts gefunden.«
»Das ist ja gut.«
»Aber er hat doch Schmerzen in der Brust.« »Was passiert jetzt?«
»Er ruht. Wenn es etwas mit dem Herzen ist, braucht er völlige Ruhe.«
»Vielleicht ist es Überanstrengung«, sagte Winter. Auf dem Golfplatz, fügte er in Gedanken hinzu. Er versuchte, an etwas anderes zu denken, abzuschalten, aber der Druck in seinem Kopf blieb, verstärkte sich.
»Er hat sich nicht überanstrengt«, meinte seine Mutter. »Wir haben nichts anderes gemacht als sonst auch.«
»Eben.«
»Ich mache mir Sorgen, Erik. Wenn es schlimmer wird, musst du herkommen.«
Winter antwortete nicht. Es klopfte. Er rief: »Augenblick bitte«, und hörte weiter zu.
»Was war das?«, fragte seine Mutter.
»Nur jemand an der Tür.«
»Bist du im Büro? Ja klar, es ist ja erst Abend.«
»Ja.«
Er hörte, wie sich draußen Schritte entfernten. Seine Mutter sagte etwas.
»Entschuldige, Mutter. Ich habe dich nicht verstanden.«
»Wenn es schlimmer wird, musst du herkommen.«
»Das wird schon nicht passieren. Ihr müsst es nur etwas ruhiger angehen. Keine spontanen Reisen nach Gibraltar mehr.«
»Versprichst du es mir, Erik? Versprichst du herzukommen, wenn es schlimmer wird? Ich habe mit Lotta gesprochen, und sie meint auch, dass du kommen musst. Ihr müsst beide kommen.«
»Ich verspreche es«, lenkte er ein.
»Du hast es versprochen. Ich rufe später heute Abend noch mal an. Sonst kannst du dich auch melden.« Sie gab ihm die Nummer der Klinik durch. »Ich werde die ganze Zeit hier sein.«
»Vielleicht könnte ihr bald schon nach Hause fahren.«
»Jetzt muss ich los, Erik.«
Er saß mit dem Handy in der Hand da. Es klopfte wieder. Winter rief »herein«, und Ringmar erschien in der Türöffnung.
»Bremers Schwester wohnt in der Västergatan«, berichtete Ringmar und setzte sich. »Das ist in Annedal.« »Das weiß ich.«
»Greta Bremer. Unser Georg sagt, er hat die Adresse nicht.«
»Er sagt ja auch, sie hätten sich seit vielen Jahren nicht gesehen«, meinte Winter.
»Irgendwie will er überhaupt nicht von ihr sprechen.«
»Tja, ich glaube, er versteht einfach nicht, warum wir was mit seinen Angehörigen zu tun haben wollen.« Winter lächelte. »Wo er doch gar nicht versucht hat, sich ein Alibi zu verschaffen.«
»Was
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