Die Schattenfrau
Marken auf. Winter dachte an die H&M-Plakate, die ihm immer auffielen, wenn er durch die Stadt ging, und er dachte an den Anschlag, den er selbst aushängen wollte. Er legte den Obduktionsbericht auf den Schreibtisch.
Die Tote hatte keine Schuhe angehabt. Die Polizisten am Fundort hatten auch kein Paar auf dem Gelände gefunden. Sie hatten eine Unmenge einzelner Schuhe und anderen Ramsch gefunden, aber nicht die Schuhe der Frau.
Ihre kurzen weißen Söckchen waren nass gewesen, zumindest sehr feucht. Vom Gras? Das war zur Zeit verhältnismäßig trocken. Vom Wasser? Winter sah vor seinem inneren Auge ein Boot leise über den See gleiten, mit umwickelten Dollen, um Geräusche zu vermeiden.
Er stand auf und reckte sich. Die Müdigkeit hatte sich angeschlichen, während er dasaß und las. Er rieb sich übers Gesicht, und das Kratzen von seinem Bart übertönte das Brummen der Klimaanlage.
Quer durchs Zimmer ging er zu seinem Schrank und öffnete die rechte Tür. Vom obersten Brett nahm er eine Spraydose Rasiercreme und einen Rasierer und ging zum Waschraum, wo er sich das Gesicht nass machte und mit der Creme einschäumte. Die Beleuchtung war schwach. Seine Augen leuchteten in der weißen Maske, schienen zu glühen. Er beugte sich vor und sah, dass das Weiße in den Augen von kleinen roten Äderchen durchzogen war, wie es vorkam, wenn man sich zu viele Stunden über konzentriert hatte. Ihm war noch einmal schwindelig geworden um die Mittagszeit, aber nur für ein paar Sekunden.
Winter rasierte sich genüsslich. Es tat gut zu spüren, wie die Haut sich spannte und der Bart abgeschoren wurde.
Er wusch sich nochmals das Gesicht und ließ es von allein trocknen. Es wirkte jetzt dünner, als hätten die Bartstoppeln es vorher breiter aussehen lassen. Er hatte Schatten unter den Augen. Aber das lag bestimmt an der Beleuchtung.
Die Rasur hatte ihn erfrischt. Zurück in seinem Zimmer, schaltete er mit der Fernbedienung das Videogerät und den Fernseher ein. Die Geräte begannen zu brummen. Er ließ sich mit dem Rücken zum Schreibtisch nieder, gerade als die erste Filmsequenz auf dem Bildschirm erschien. Das Bild blieb schwach und trüb, und er versuchte, es mit der Kontrasttaste ein wenig klarer einzustellen.
Es sah aus wie ein Negativfilm. Die Nacht glänzte silbrig, mit den Augen der Kamera im Dunkeln aufgenommen. Man konnte alles erkennen, aber das Motiv blieb unwirklich, als wäre Winter Zeuge eines Traums.
Zwei Autos fuhren im Vordergrund vorbei, von der Schnellstraße kommend. Sie waren nicht erst an der Straßenmündung aus dem Erholungsgebiet Kallebäck auf die Fernstraße abgebogen. Winter versuchte, an ihnen vorbeizusehen, hinüber auf die andere Fahrbahn. Die Zeit war am unteren Rand eingeblendet: 02.03. Ein weiteres Auto sauste durch den Vordergrund, auf dem Weg in die Stadt. Noch immer keine Bewegung auf der anderen Straßenseite. Der Polizist hatte mit der Kamera kurz vor der Anhöhe gestanden, die Linse nach Osten gerichtet. So war er für den spärlichen Verkehr nicht zu sehen. Winter konnte zwar die Abzweigung hinunter zum See erkennen, aber die Sicht war schlecht. Das Band lief weiter, aber noch immer gab es kein Fahrzeug Richtung Osten. Da tauchte am rechten Bildrand ein Auto auf, und genau in diesem Moment wurde die Mattscheibe hell.
Winter ließ das Band zurücklaufen und folgte der Sequenz noch einmal. Das Auto kam näher, sein Umriss wurde deutlicher, und wieder wurde der Bildschirm weiß und leer.
Viermal sah sich Winter diese Stelle auf dem Band an, ohne wirklich mehr zu erkennen, als beim ersten Mal. Er würde Hilfe brauchen, um festzustellen, wie wertvoll die Aufnahme für sie war.
Er nahm die Kassette aus dem Rekorder und legte die zweite ein. Nach vier Sekunden schossen zwei Autos in hohem Tempo von links nach rechts durchs Bild, und Winter fragte sich, ob die Fahrer wohl wegen überhöhter Geschwindigkeit belangt werden würden.
Ein Auto kam aus der Gegenrichtung an der Abzweigung vorbei. Seit der ersten Zeitangabe auf dem vorigen Videoband waren zehn Minuten vergangen.
Die Kamera wackelte und wurde dann wieder stabilisiert. Die Fahrbahn blieb in beiden Richtungen leer. Da glänzte etwas am rechten Bildrand, und ein PKW fuhr Richtung Osten, blinkte und bog zum Delsjö-See ab. Er konnte das Fahrzeugmodell nicht erkennen. Die modernen Wagen ähnelten sich zu sehr, als wären sie geklont. Er wartete, und ein weiteres Auto tauchte auf.
Auch dieses fuhr nach rechts ab. Winter glaubte,
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