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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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konnte die Leiche nicht sehen, aber er wusste, dass sie da war.
    »Der Übergriff auf eure Kollegin«, fuhr Vennerhag fort. »Das hat sich ja wohl geregelt, habe ich gehört.« »Wie hast du es erfahren?«
    »Ist der Herr Kommissar plötzlich naiv geworden?« Winter antwortete nicht. Er musste an seine Hände denken, wie sie um Vennerhags Hals lagen. »Ich hab immer noch Schmerzen«, sagte Vennerhag da. »Bitte?«
    »Die Brutalität der Polizei. Was du mit mir da gemacht hast. Ich könnte... «
    »Ich brauche vielleicht schon sehr bald wieder deine Hilfe«, schmeichelte Winter.
    »Dein Ton gefällt mir nicht«, gab Vennerhag zurück. »Wenn, dann müssen wir das telefonisch regeln.« Er wartete ab, aber von Winter kam keine Reaktion. »Worum geht es denn?«
    »Das kann ich noch nicht sagen, aber vielleicht lasse ich in Kürze von mir hören.«
    »Und wenn ich die Stadt verlasse?«
    »Tu's nicht.«
    »Darf ich die Stadt nicht verlassen?«
    »Wann hast du zum letzten Mal die Stadt verlassen, Benny?« »Das ist nicht der Punkt, Herr Kommissar.« »Du bist seit vier Jahren nicht mehr jenseits der Stadtgrenze gewesen, Benny.« »Woher weißt du das?«
    »Ist der Herr Meisterdieb plötzlich naiv geworden?«
    Vennerhag lachte schrill. »Okay, okay. Ich verstehe schon, worum es geht. Ich kann schließlich lesen. Aber wie ich dir in dem Fall zu Diensten sein könnte, weiß ich beim besten Willen nicht. Wer ist sie übrigens?«
    »Wer denn?«
    »Die Tote, zum Teufel. Die Leiche. Wer ist sie?« »Wir wissen es nicht.«
    »Komm schon, Winter. Das gibt es doch heute nicht mehr, so was wie eine unbekannte Leiche.«
    »Vielleicht nicht in deiner Welt.«
    »Was meinst du damit?«
    Winter hatte genug von Vennerhags Stimme. Er wollte das Gespräch beenden. Die Wange juckte von der Wärme des Hörers an seinem Ohr. »Ich sage dir ganz ehrlich, dass ich nicht weiß, wer sie ist«, erklärte er. »Ich werde vielleicht trotzdem deine Hilfe brauchen. Du hilfst mir doch, Benny?«
    »Nur wenn du nett bist.«
    »Die Polizei, dein Freund und Helfer. Das kennst du doch. Alle wissen, dass die Polizei nett ist.«
    Vennerhags Lachen schrillte wieder durch die Leitung. »Und die anderen, das sind die Bösen. Wie geht es eigentlich Lotta?«
    »Sie hat erzählt, du hättest sie angerufen und gejammert.«
    »Ich hab nicht gejammert. Und es war zu deinem Besten. So was tut man nicht, was du getan hast. Es ist heiß, aber man beherrscht seine Gefühle.«
    »Ruf sie nicht mehr an. Halte dich von ihr fern.«
    »Wie fern? Ich darf die Stadt ja nicht verlassen.«
    »Du hörst noch von mir, Benny.« Winter legte auf. Seine Hand war klebrig. Er stand auf, zog den Sakko aus und hängte ihn über die Stuhllehne. Der Stoff hatte sich zuvor kühl an seinem Handgelenk angefühlt, aber jetzt war es eine Last, ihn zu tragen. Winter nahm den Schlips ab und ließ ihn wie eine glänzende Schlange über Stuhl und Sakko gleiten.
    Trotz hoch gekrempelter Ärmel vermisste er das T-Shirt und die abgeschnittenen Jeans. Aber an diesem Morgen hatte er entschieden, dass es damit vorbei war. Die Arbeit wartete und das bedeutete, dass er den teuren Panzer brauchte, um sich zu wappnen. Für ihn war diese Rüstung wie ein Schutz, sandte Signale aus. Deutliche Signale. Darüber hatte er in der vergangenen Nacht mit seiner Schwester gesprochen, bevor er durch die Dunkelheit zum Sommerhaus gewankt war. Das sind Signale der Schwäche, hatte Lotta gemeint. Wer sich hinter einem Anzug von Armani verstecken muss, ist in seinem Körper nicht richtig zu Hause.
    »Baldessarini«, hatte er sie korrigiert. »Cerutti. Nicht Armani, so was trägt man, wenn man Autos frisiert.«
    »Oh«, hatte sie nach einem kurzen Lachen gesagt, »es ist sogar ernster, als ich geglaubt habe.«
    »Könnte es nicht sein, dass ich bloß schön angezogen sein will?«, hatte er gefragt. »Nicht mehr?«
    »Da steckt mehr dahinter«, war ihre Antwort.
    Und da hatte er es ihr erzählt. Von der Angst, die nach ihm griff, wenn er dem Kern des Bösen nahe kam. Wie die Angst stärker geworden war. Diese Empfindung war gewachsen wie eine Luftblase, die sich immer weiter ausdehnt. Und das Wissen darum, dass er mit seinem Leben nichts anderes mehr anfangen konnte - nichts anderes anfangen wollte -, war ihm zur Last geworden, sobald ihm klar wurde, was das bedeutete: Er konnte den Tag nicht abhaken, wenn die Nacht kam, ihn nicht einfach weghängen wie einen Sakko. Er konnte nicht einfach einen Freizeitoverall überziehen und an

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