Die Schattenfrau
selbst schon mal probiert?«
»Wenn ich Papier und Stift da hätte, würd ich es dir beweisen, aber hier im Zimmer gibt es so was nicht, wie du siehst.«
Aha! Erwischt!, dachte Winter bei sich. Er hat extra kein Schreibzeug hier herumliegen, weil er seine Unsicherheit bei schwierigen Wörtern verbergen will. Jetzt fasse ich mir mit der Hand in den Sakko und tue so, als wollte ich mein Notizbuch herausholen, den Stift habe ich ja schon in der Hand.
Birgersson grinste und winkte abwehrend. »Du warst jedenfalls dort. Und was hat dir das gebracht?«
»Wie meinst du das?«
»Der Farbfleck im Boot allein beweist doch gar nichts.« »Ja, aber es ist dieselbe Schmiererei wie an dem Baum.« »Vielleicht sind die Jungen es selbst gewesen.« »Dann lügen sie gut.«
»Immer mehr Leute werden immer besser im Lügen«, gab Birgersson zurück. »Und genau das macht Polizeiarbeit so abwechslungsreich, so faszinierend. Das hält einen richtig auf Trab, findest du nicht? Dass man sich auf nichts mehr verlassen kann. Alle lügen, wenn sie Gelegenheit dazu haben.«
»Wie du gerade, als du behauptet hast, du könntest Intuition buchstabieren.«
»Du bist wie ein Sohn für mich, Erik, aber ich warne dich: Strapazier nicht meine Geduld.«
Winter zündete sich einen neuen Zigarillo an. »Die Jungen können es gewesen sein«, lenkte er ein. »Oder andere Jungen. Wer immer ein Zeichen hinterlassen wollte. Vielleicht nimmt uns jemand auf den Arm.«
»Dann ergibt es noch weniger Sinn.« »Ja.«
»Das kann für uns bedeuten, dass etwas Schwerwiegendes oder etwas völlig Unbedeutendes dahinter steckt«, philosophierte Birgersson. »Verstehst du, was ich meine?«
»Ein Verrückter.«
»Ein Verrückter, der eine Absicht verfolgt. Vielleicht ist er jetzt zufrieden, oder er hat es satt und wartet auf uns. Oder ein Verrückter, der erst angefangen hat.«
Winter sagte nichts. Von draußen und auch vom Flur drang kein Geräusch herein. Winter konnte Birgerssons Gesichtsausdruck nicht erkennen, er war verborgen hinter einem Vorhang aus Gegenlicht und Schatten.
»Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es ist, dass wir diese Frau identifizieren«, sagte Birgersson in die S tille.
Helene, dachte Winter. Mutter und Mordopfer.
»Und wo zum Teufel ist ihr Kind?«, fuhr Birgersson fort, als könne er Gedanken lesen. »Wenn es überhaupt eins gibt.«
Winter räusperte sich vorsichtig, ekelte sich plötzlich vor dem Rauchgeschmack in seinem Mund.
»Wellpappe ist nervös«, betonte Birgersson. Der Präsident der Bezirkskripo Henrik Wellman, hatte diesen Spitznamen schon vor langer Zeit von seinen Kollegen erhalten. »Es geht um die Presse oder die Medien, wie es heute wohl heißt. Wellpappe will, dass wir mehr Resultate vorweisen als bisher.«
»Ich kann ihm gern Bilder vom Gesicht der Toten vorweisen. Ich denke übrigens wirklich darüber nach, mit den Fotos an die Öffentlichkeit zu gehen.«
»Was denn? Wie denn?«
»Eine Suchmeldung, wie ein Plakat.«
»Mit dem Foto einer Toten?«
»Wir haben kein anderes.«
»Kommt nicht in Frage«, wehrte sich Birgersson. »Wie zum Teufel würde das denn aussehen? Und was würden die Leute sagen?«
»Vielleicht würden sie ja was sagen«, meinte Winter, »das uns weiterhelfen würde.«
»Wir werden sie auch so finden«, sagte Birgersson. »Rauskriegen, wer sie ist.«
»Wir tun alles, was wir können.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber das ist...Wie soll ich es sagen, Erik. Es ist, als hättest du zu viele Spuren. Als wiesen sie in zu viele Richtungen.«
»Wie meinst du das?«
»Tja... Manchmal bist du vielleicht zu tüchtig, Erik. Du siehst vielleicht zu viele alternative Lösungen schon im... Initialstadium. Dein Hirn rattert los, und die Kollegen schwärmen aus... «
Initialstadium, ging es Winter durch den Kopf. Noch ein schwieriges Wort. »Du denkst also, es wäre besser, wenn ein denkfauler Bulle für die Ermittlung verantwortlich wäre?« Zum ersten Mal im Laufe des Gesprächs schlug Winter ein Bein über das andere.
»Nein, nein.«
»Was dann? Wir verfolgen die Spur der Autos und die des Zeichens. Wir verhören alle, die in der Nähe wohnen oder sich dort aufgehalten haben. Wir überprüfen die Wagen, die in der Nacht dort gestanden haben, und wir setzen all unsere Mittel ein, um den Namen dieser Frau herauszufinden.«
»Ja, ja.«
»Ich würde gern mit einer Suchmeldung an die Öffentlichkeit gehen, aber das hältst du für unpassend.« »Nicht ich in erster Linie.«
»Nein.
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