Die Schattenfrau
wenig entgegenkommend sein.
»Es gibt einen kleinen Park drüben bei Pripps«, erklärte von Holten.
Sie fuhren nach Süden und hielten dort. Dichtes Gebüsch zog sich bis an den Straßenrand. Von Holten hatte während der kurzen Fahrt geschwiegen und zur Weltuntergangsmusik aus dem Kassettenrekorder mit den Fingern gegen das Handschuhfach geklopft.
Sie setzten sich auf eine Bank. Nun roch es nach Bier von der Brauerei, und Bergenhem überlegte, welcher Geruch schlimmer war. Plötzlich sehnte er sich nach dem Duft seiner erst vier Monate alten Tochter.
»Sie haben also Ihr Auto nicht als vermisst gemeldet«, kam Bergenhem zur Sache.
»Wer würde auch auf die Idee kommen? Dass die Karre in einer Morduntersuchung eine Rolle spielen würde?«
»Warum hat das Auto überhaupt dort gestanden? Oder: Warum haben Sie es da abgestellt?«
»Es war ein Versehen«, sagte von Holten, »und ich kann es erklären. Aber es ist eine... hm... etwas heikle Angelegenheit.«
Bergenhem wartete geduldig, dass er weitersprach. Ein Dutzend Möwen flog dicht über ihren Köpfen vorbei, torkelte in loser Formation, als hätte es sich am vom Bierdunst gesättigten Wind berauscht.
»Ich bin überrascht, dass das Auto noch da ist«, kam es von von Holten. »So war das nicht gedacht.«
Bergenhem nickte.
»Also, das ist so. Ich habe ein Mädchen, mit dem ich mich manchmal treffe, und vorgestern Abend sind wir zu dieser Bucht rausgefahren, weil es dort an einem warmen Sommerabend so schön ist. Und dann... danach hatten wir beschlossen, dass sie das Auto nehmen sollte, um von dort wegzukommen.« Von Holten wischte sich über den Mund. »Ich bin verheiratet«, sagte er, als ob das alles erklärte.
»Ihr... Mädchen sollte also den Wagen nehmen? Habe ich das richtig verstanden?«
»Ja.«
»Wie heißt sie?«
»Muss das sein?«
»Ihr Name? Aber sicher.«
Von Holten nannte einen Namen, und Bergenhem schrieb ihn in sein Notizbuch mit dem schwarzen Einband, das er aus dem Auto mitgenommen hatte.
»Wo wohnt sie?«
Von Holten nannte eine Adresse. »Sie lebt allein.« »Wie sind Sie selbst von dort weggekommen?« »Ich bin zu Fuß gegangen.« »Über die Schnellstraße?«
»Es gibt Fußwege zur Stadt. Und ich wohne nicht so weit weg vom Delsjön. Eineinhalb Stunden dauert es ungefähr.«
»Okay. Aber warum sollte sie das Auto nehmen?«
»Sie hat kein Auto... und, tja... ich habe noch eins. Es war mein Dienstwagen, auf dem meine... Frau wenigstens nicht die Hand drauf hat.«
People ain't no good, ging Bergenhem durch den Kopf. Aber wer war er, darüber zu richten. Er hatte selbst vor kurzem erst gesündigt, in diesem Jahr. Es hatte ihn beinahe das Leben gekostet.
»Aber sie hat das Auto nicht genommen?«, fragte Bergenhem.
»Das ist jedenfalls nicht normal«, erklärte von Holten.
»Warum nicht? Sie werden doch sicher mit ihr darüber gesprochen haben?«
»Das ist es ja«, meinte von Holten. »Ich habe sie in den letzten Tagen nicht ausfindig machen können. Sie antwortete nicht am Telefon. Also bin ich hingefahren und habe eine Nachricht durch den Briefschlitz geworfen, aber sie hat nicht... «
»Wie sieht sie aus?«, fragte Bergenhem und spürte, wie das Blut in den Schläfen zu pochen begann. »Wie sieht...«, er warf einen Blick in sein Notizbuch, »Andrea aus?«
»Braunes Haar, ziemlich dunkel, ein ganz normales Gesicht, finde ich. Hübsch natürlich, meine ich, aber es ist schwer, jemand zu beschreiben, den...Vielleicht eins siebzig groß...« Von Holten blickte Bergenhem an. »Sie glauben doch nicht, dass... «
»Was?«, fragte Bergenhem.
»Dass And... Also dass Andrea die ist, die... gestorben ist?«
»Warum haben Sie uns nicht benachrichtigt? Die Polizei?«
Von Holten begann plötzlich zu weinen. Wieder fuhr er nervös mit der Hand über den Mund, presste die Augen fest zusammen. »Das darf einfach nichts mit ihr zu tun haben«, flüsterte er, die Augen noch immer geschlossen.
»Sie müssen doch was darüber gelesen oder im Fernsehen gesehen haben.«
Von Holten blickte hoch in die Bäume, auf die Möwen, deren höhnisches Gelächter Bergenhem über und hinter sich hören konnte. Birds ain't no good.
»Ich... konnte einfach nicht darüber nachdenken, wollte es nicht wahrhaben, dass... Ich habe eine Familie, die mir viel bedeutet.«
Bergenhem sagte nichts.
»Ich weiß, was Sie denken, aber... Aber überlegen Sie mal, dass so was passiert, also... «
Das sollte man sich überlegen, bevor man bei einer Fremden die
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