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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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erschrecken.
    Winter spürte wieder diese innere Unruhe und wünschte sich zurück auf das weite Feld, wo er den Hirsch gesehen hatte. Er spielte Coltrane auf seinem tragbaren Panasonic ab, der auf der Fensterbank stand, aber Trane's Slow Blues hatte nicht den gewünschten Effekt. Mit dem linken Mittelfinger schlug er den Takt auf der Schreibtischkante und starrte auf das vor ihm liegende Dokument, während Earl May in einem Studio in Hackensack, New Jersey, am 16. August 1957 sein Basssolo klopfte. Winter war nie dort gewesen. Man musste sich noch etwas für später aufheben.
    Gefesselt von der aussagekräftigen Melodie schweiften seine Gedanken ab, und ein paar Sekunden lauschte er Lush Life. Janne Möllerström betrat das Zimmer, gerade als Red Garland sein Pianosolo begann.
    »Hier ist es aber gemütlich«, sagte Möllerström.
    »Das ist im Dienstvertrag inbegriffen«, gab Winter zurück.
    »Wohl nur für die Chefs.«
    »Klar.«
    »Was ist das?«, fragte Janne Möllerström und wies mit einem Nicken auf den CD-Player. »The Clash.« »Was?«
    »The Clash. Eine englische Rock... «
    »Das ist nie im Leben Clash. Ich habe selbst CDs von Clash.«
    »War ein Scherz. Weißt du nicht, wer das ist?«
    »Ich höre bloß ein nettes Pianosolo. Jetzt setzt eine... Trompete ein. Muss Herb Alpert sein.«
    Winter lachte.
    »Tijuana Brass«, trumpfte Janne Möllerström. »Meinem alten Herrn hat das auch gefallen.« »Aha.«
    »War ein Scherz«, lenkte Möllerström ein. »Da du es hörst, kann es eigentlich nur John Coltrane sein.«
    »Wer sonst«, gab Winter zu. »Aber du bist bestimmt nicht deswegen hier, oder?«
    »Ich habe einen Brief, auf den du, meine ich, einen Blick werfen solltest«, erklärte Möllerström.
    »Okay.« Winter nahm die Kopie entgegen. Er las und blickte dann seinen Kollegen aus der Registratur an. Möllerström wirkte aufgeweckt, wie immer. Winter wusste, dass er alles genau las, was hereinkam, und dann das meiste beiseite legte.
    Möllerström war feinfühlig und verfügte über ein gutes Urteilsvermögen, das sich schon oft bewährt hatte. »Was bringt dich auf den Gedanken, das könnte etwas sein?«
    »Ich weiß nicht... Vielleicht, weil es zwei sind... eine ältere Dame und eine junge Frau, die sozusagen in ihrem Namen schreibt.«
    »Der Brief hat etwas Zögerliches... «
    »Genau. Oder Zurückhaltendes, als täten sie ihre Pflicht oder so. Nicht, als wollten sie sich wichtig machen.«
    »Keine Verrückten, meinst du?« »Genau.«
    »Diese... Karin Sohlberg hat hinzugefügt, wir könnten anrufen, wenn wir finden, es ist eine Untersuchung wert. So schreibt sie. Eine Untersuchung wert.«
    »Ich hab's gelesen.«
    »Und was meinst du, Janne?«
    »Wozu?«
    »Ist der Brief eine Untersuchung wert? Sollen wir anrufen?« »Deshalb bin ich hier.«
    »Gut.« Winter streckte die Hand nach dem Telefon aus. Es war nicht das erste Mal. Mehrmals hatten sie sich sogar schon auf den Weg gemacht, um mit Angehörigen zu sprechen. Aber immer hatten sie eine natürliche Erklärung für das »Verschwinden« der betreffenden Person gefunden. Die natürlichste war, dass niemand verschwunden war. Im schlimmsten Fall war eine junge Frau im Krankenhaus gewesen, ohne ihren Nachbarn Bescheid zu sagen.
    »Sie schreibt nur, dass es sich um eine Frau und ihr Kind handelt«, sagte Winter und wählte eine der Telefonnummern, die im Brief standen. »Keine Namen.«
    »Vielleicht aus Diskretion.«
    »Genau, was ich dach... Hallo? Karin Sohlberg? Hier ist Kriminalkommissar Erik Winter vom Fahndungsdezernat der Kripo.« Winter machte Möllerström ein Zeichen, die Musik leiser zu drehen. »Ja, wir haben den Brief bekommen, deshalb rufe ich an... Überlassen Sie uns die Entscheidung. Es ist nie falsch, wachsam zu sein. Es ist vor allem... Ester macht sich Sorgen? Das ist doch gut. Ja. Man soll sich ruhig um andere kümmern«, sagte Winter und nickte Möllerström zu, den CD-Player ganz auszumachen.
    »Helene Andersen ist tatsächlich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen worden«, erklärte Karin Sohlberg am Telefon in Hisingen gerade.
    Winter glaubte zuerst, er hätte sich verhört. Dass er einen eigenen Gedanken laut ausgesprochen hätte, dass die alten Träume plötzlich wieder da wären. Er sah seine Helene vor sich, ihr Gesicht in dieses obszöne Licht getaucht.
    »Entschuldigung«, unterbrach er Karin Sohlberg. »Was sagen Sie, wie heißt sie?«
    »Helene Andersen. Um sie geht es, aber ich wollte den Namen nicht in dem Brief...

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