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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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die Brauen hoch. «Eine Verrückte?», fragte ich.
    «Verrückt wie ein Märzhase», sagte Mr Pye und fügte hinzu: «Aber Sie würden nie draufkommen.»
    «Wer?»
    Unsere Blicke trafen sich. Er lächelte.
    «Nein, nein, Burton, das wäre üble Nachrede. Wir wollen nicht auch noch mit übler Nachrede anfangen.»
    Fast hüpfend verschwand er die Straße hinunter.
     
    IV
     
    Während ich ihm noch nachschaute, öffnete sich die Kirchentür, und heraus trat Reverend Caleb Dane Calthrop.
    Er bedachte mich mit einem zerstreuten Lächeln.
    «Guten – guten Morgen, Mr… äh… äh…»
    Ich kam ihm zu Hilfe. «Burton.»
    «Aber natürlich. Sie dürfen nicht denken, ich würde mich nicht an Sie erinnern. Ihr Name war mir nur momentan entfallen. Schöner Tag heute.»
    «Ja», sagte ich knapp.
    Er betrachtete mich blinzelnd.
    «Aber irgendetwas… irgendetwas… ach ja, das arme, unglückselige Kind, das bei den Symmingtons im Dienst stand. Es fällt mir, muss ich gestehen, schwer zu glauben, dass sich unter uns ein Mörder befinden soll, Mr… äh… Burton.»
    «Es ist eine bizarre Vorstellung», räumte ich ein.
    «Noch etwas ist mir kürzlich zu Ohren gekommen.» Er beugte sich vor. «Hier sollen anonyme Briefe im Umlauf sein. Haben Sie auch davon munkeln hören?»
    «Doch», sagte ich. «Schon.»
    «Feige und verdammenswerte Machwerke.» Er hielt inne, um mich gleich darauf mit einer Flut lateinischer Worte zu überschütten. «Horaz trifft den Nagel auf den Kopf, finden Sie nicht auch?»
    «Unbedingt», sagte ich.
     
    V
     
    Sonst schien niemand mehr unterwegs zu sein, mit dem zu sprechen sich lohnte, also trat ich den Heimweg an. Aber vorher kaufte ich noch etwas Tabak und eine Flasche Sherry, um auch ein paar der schlichteren Meinungen zur Tat kennen zu lernen.
    «Einer von diesen Landstreichern», so lautete das allgemeine Urteil.
    «Klingelt an der Tür, dieses Pack, und bettelt und will Geld, und kaum merkt einer, dass ein Mädel allein im Haus ist, wird er schon frech. Meine Schwester Dora in Combeacre drüben, die kann da Geschichten erzählen – betrunken war der Kerl und wollte solche kleinen Kärtchen mit Reimen verkaufen…»
    In diesem Stil ging es weiter, bis die wackere Dora dem Mann schließlich beherzt die Tür vor der Nase zuschlug und sich an einem nicht näher benannten Ort verschanzte, bei dem es sich, aus der Zartheit der Andeutungen zu schließen, nur um das Klosett handeln konnte. «Und da ist sie dringeblieben, bis ihre Lady heimkam!»
    Es wurde schon Mittag, als ich nach Little Moor zurückkehrte. Joanna stand untätig am Wohnzimmerfenster, mit einem Gesicht, als wäre sie in Gedanken meilenweit weg.
    «Und? Was hast du so gemacht?», fragte ich.
    «Ach, ich weiß nicht. Nichts Besonderes.»
    Ich ging auf die Veranda hinaus. Zwei Stühle waren an einen gusseisernen Tisch gerückt, und auf dem Tisch standen zwei leere Sherrygläser. Auf einem anderen Stuhl lag ein Gegenstand, den ich eine Weile befremdet anstarrte.
    «Was ist denn das, um Himmels willen?»
    «Ach», sagte Joanna, «ich glaube, das ist ein Foto von einer Fettleber. Dr. Griffith schien der Meinung, dass ich es gern sehen wollte.»
    Ich betrachtete das Bild mit einigem Interesse. Jeder Mann hat seine eigene Art, das weibliche Geschlecht zu umwerben. Ich persönlich würde dazu nicht auf Fotos von Lebern zurückgreifen, ob fett oder mager. Aber Joanna hatte es offensichtlich nicht anders gewollt.
    «Sieht ziemlich ungut aus», sagte ich.
    Ja, das fand Joanna auch.
    «Wie war Griffith?», fragte ich.
    «Er wirkte müde und sehr unglücklich. Ich glaube, ihm macht etwas zu schaffen.»
    «Wahrscheinlich ist ihm was über die Leber gelaufen.»
    «Red nicht so dummes Zeug. Ich meine es ernst.»
    «Ich würde sagen, dem Mann machst du zu schaffen. Ich wünschte, du würdest die Finger von ihm lassen, Joanna.»
    «Ach, hör doch auf. Ich habe überhaupt nichts gemacht.»
    «Das sagt ihr Frauen immer.»
    Verärgert ließ Joanna mich stehen.
    Die Fettleber fing schon an, sich in der Sonne zusammenzurollen. Ich fasste sie an einer Ecke, hob sie auf und trug sie ins Wohnzimmer. So wenig ich selbst ihr abgewinnen konnte, sie war zweifellos einer von Griffiths Schätzen.
    Ich bückte mich und zog ein schweres Buch aus dem untersten Fach des Bücherschranks, um das Foto darin glatt zu pressen. Es war ein gewichtiger Band, irgendeine Predigtsammlung.
    Das Buch schlug sich in meiner Hand unverhofft auf, und im nächsten Moment begriff ich auch,

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