Die Schattenhand
Kleine aussah, dabei muss sie mir Dutzende von Malen die Tür aufgemacht haben. So ein stilles, unscheinbares Ding. Ein Schlag auf den Schädel und dann der Hinterkopf durchbohrt, sagt Owen. Ich tippe auf den Freund. Was meinen Sie?»
«Das ist Ihre Erklärung?»
«Ist doch das Naheliegendste, oder? Sie werden gestritten haben. ‘ne Menge Inzucht hier in der Gegend – da haben viele schlechte Erbanlagen.» Sie machte eine Pause und fuhr dann fort: «Und Megan Hunter hat die Leiche gefunden? Muss ein ziemlicher Schock für sie gewesen sein.»
«Richtig», sagte ich kurz angebunden.
«Kann mir nicht vorstellen, dass ihr das gut tut. Ganz dicht ist sie meiner Meinung nach sowieso nicht – da könnte so eine Sache ihr endgültig den Rest geben.»
Ich fasste einen jähen Entschluss. Ich wollte etwas wissen.
«Sagen Sie, Miss Griffith, waren Sie das, die Megan eingeredet hat, dass sie nach Hause zurückmuss?»
«Na ja, ich würde nicht gerade sagen, eingeredet.»
Ich ließ nicht locker.
«Aber Sie haben etwas gesagt?»
Aimée Griffith straffte die Schultern und erwiderte meinen Blick. Ein wenig fühlte sie sich anscheinend doch in die Enge getrieben. Sie sagte:
«Verantwortung ist nicht dazu da, dass man sich vor ihr drückt. Megan ist jung und weiß noch nicht, wie die Leute sich die Mäuler zerreißen, da habe ich es für meine Pflicht gehalten, ihr ein bisschen auf die Sprünge zu helfen.»
«Die Mäuler zer…» Ich brach ab, zu wütend, um weiterzureden.
Mit der aufreizenden Selbstzufriedenheit, die so typisch für sie war, antwortete Aimée Griffith: «Oh, Sie bekommen nicht viel von dem Tratsch mit, der hier die Runde macht. Ich schon! Ich weiß, wie die Leute reden. Nicht, dass ich irgendetwas darauf geben würde – keine Sekunde lang! Aber Sie wissen ja, wie die Menschen sind – wenn sie ein Gerücht in die Welt setzen können, tun sie es auch! Und ein Mädchen, das seinen Lebensunterhalt selbst verdienen muss, trifft das natürlich besonders hart.»
«Seinen Lebensunterhalt selbst verdienen?», wiederholte ich verwirrt.
«Sie ist ja auch in einer schwierigen Lage», erklärte Aimée Griffith. «Und ich bin der Meinung, dass sie das Richtige getan hat. Ich meine, sie konnte schließlich nicht einfach alles hinwerfen und die Kinder ohne Aufsicht zurücklassen. Sie hält sich großartig – ganz und gar großartig. Das sage ich allen. Aber so ist es nun mal, es ist eine prekäre Lage, und die Leute reden eben.»
«Von wem sprechen Sie?», fragte ich.
«Von Elsie Holland natürlich», sagte Aimée Griffith ungeduldig. «Meiner Meinung nach ist sie ein ganz reizendes Mädel, das nichts tut als seine Pflicht.»
«Und was reden die Leute?»
Aimée Griffith lachte. Es war, so fand ich, kein sehr angenehmes Lachen.
«Dass sie schon darauf spechtet, die zweite Mrs Symmington zu werden – dass sie es darauf angelegt hat, den Witwer zu trösten und sich unentbehrlich zu machen.»
«Du liebe Güte», sagte ich bestürzt, «Mrs Symmington ist doch erst eine Woche tot!»
Aimée Griffith zuckte die Achseln.
«Sicher. Es ist absurd. Aber Sie wissen ja, wie die Menschen sind. Die kleine Holland ist jung, und sie sieht gut aus – das reicht. Und seien wir ehrlich, als Kindermädchen hat man keine besonderen Perspektiven. Ich könnte es ihr nicht verdenken, wenn sie sich ein solides Zuhause und einen Ehemann wünschen und ihre Karten entsprechend ausspielen würde. – Der arme Dick Symmington», fuhr sie fort, «ahnt von alledem natürlich nichts. Er ist viel zu mitgenommen von Mona Symmingtons Tod. Aber Sie wissen ja, wie Männer sind! Wenn das Mädchen immer um ihn ist und ihn umsorgt und es ihm gemütlich macht und noch dazu so an den Kindern hängt – irgendwann geht es nicht mehr ohne sie.»
Ich fragte ruhig: «Dann halten Sie Elsie Holland also doch für ein berechnendes Luder?»
Aimée Griffith wurde rot.
«Nein, gar nicht. Mir tut das Mädchen Leid – wo die Leute so hässlich reden! Deshalb habe ich Megan auch mehr oder weniger deutlich gesagt, dass ihr Platz daheim ist. Es sieht besser aus, als wenn Dick Symmington und das Mädchen allein in dem Haus wären.»
Langsam wurde mir so einiges klar.
Aimée Griffith stieß ihr aufgeräumtes Lachen aus.
«Da sind Sie schockiert, stimmt’s, Mr Burton, was unsere tratschsüchtige kleine Stadt so denkt? Ich kann Ihnen versichern, hier denken sie immer das Schlimmste!»
Und lachend und nickend marschierte sie davon.
III
Vor der
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