Die Schattenkämpferin 02 - Das Siegel des Todes
in die Scheide zu stecken, erinnerst du dich? Warum habe ich es bloß nicht getan? Nein, du kannst mich nicht auch noch verlassen. Das darfst du nicht!«
Vesas Blick wird ganz ruhig, sein früher so kraftvoller Atem flach und sanft wie der eines Jungtieres. Sein Brustkorb hebt sich kaum merklich und nur stoßweise.
>Lass mich gehen. <
Ido heult jetzt wie ein kleiner Junge.
Vesas majestätischer Atem hat jeder Schlacht den Rhythmus vorgegeben. Auf diese ruhigen Atemzüge lauschte Ido, um vor dem Kampf selbst zur Ruhe zu kommen, und Vesas schweres Keuchen danach war fast immer die Siegeshymne. Wenn sie von Feldlager zu Feldlager unterwegs waren, schlief Ido mit diesen langen gleichmäßigen Atemzügen ein. Und nun ist es nur noch ein Raunen, das bald erlöschen wird.
Das ist mehr, als er ertragen kann. Ein Ritter ohne seinen Drachen ist nichts mehr, ein Ritter, dessen Drache stirbt, sollte die Größe besitzen, mit ihm diese Welt zu verlassen. Er hebt den Kopf und blickt Vesa in die Augen, sieht zu, wie sie langsam erlöschen, und wendet den Blick nicht ab, bis der Vorhang seiner Lider ganz gefallen ist und sein Atem stillsteht. Er ruft seinen Namen, schüttelt ihn, schlägt ihn mit der flachen Hand und weiß doch genau, dass es vorbei ist, für immer. Die Fäuste krampfhaft geballt, bricht er in haltloses Weinen aus, weint die letzten Tränen, die dem Krieger Ido geblieben sind.
I do seufzte. Erinneru n gen. Erinner u n g en, die s i ch s e inem G edächtnis eingebrannt h a tten. Lange Zeit hatte er das B ild d e s s terbend am B o den liegenden Ve s a s tändig vor Augen gehabt, war immer wieder davon geq u ält worden, wenn er nur einen Drachen geseh e n hatte. Der Drachenritter, der er bis dahin gewesen war, war mit Vesa gestorbe n .
Er drehte s i ch u m, n u n war er bereit. N u n galt es, noch einen letzten Bes u ch zu machen, um eine ruhmreiche und tra g ische Vergangenheit abzuschließen. Und dieser B e s u ch war der w i cht igs te.
Sicheren Sc hri t ts bewegte er s i ch dur c h das Labyrinth der Kanäle. Drei Ja h re waren seit damals vergangen, doch kann t e er immer noch jeden einzelnen Stein auf diesem W e g. U n zählige Male war er ihn gegang e n, und der Schmerz hatte ihn seinem Gedächtnis eingebrannt.
Dieser Teil des Kanalsystems war bei der Einnahme des Widerstandsnests g efl u tet word e n, u nd ba l d sc h on stand Ido f a st b i s z u r H ü f t e im W a sser. V on einem Verlangen getrieben, das nicht zu unterdrücken war, ging er weite r . Schließlich sah er ihn. Der untere Teil s t a n d im Wasser, aber die Blumen darüber, die er beim let z ten Mal angeb r acht hatte, waren noch da. Vertrocknet, aber nicht nass. Der runde Stein von einer Elle Durchmesser lehnte an der Felswand, eingraviert ein Muster aus B lumen u n d Blätt e rn, typische Ornamente in der Bestatt u n g s ku lt u r seiner Ah n en, d ie ma n dort unten bei den Kanälen häufiger sah.
Langsam, wie in Trance näherte Ido sich der Stelle. Wann hatte er zum letzten Mal geweint? Wann hatte er sich zum l e tzt e n Mal diese Sc hwäche, d iesen so sü ßen Lu xus erlaubt?
Er legte eine Hand auf Soanas Grabstein, fuhr die Verzie r u n g en nach b i s u nter das W a sser, str e ichelte ihn u nd sp ü r t e dab e i, wie i h n der Schmerz mit voller Wucht überkam. Er überließ sich ihm wie einem alten Freund, dem er schon lange nicht mehr die Tü r geöffnet hatte, und b egrüß t e fast freudig di e se T ränen.
Schweigend steigt Ido zu ihrer Kammer hinunter. Er weiß, dass nun der letzte Akt gekommen ist.
Vor dem Eingang stößt er auf Khal, den Heilpriester, der Soana während der letzten Monate ihrer Krankheit begleitet hat. Sein Gesicht spricht Bände.
Die Hände an den Seiten, steht Ido wie erstarrt da und weiß, dass er nicht darauf vorbereitet ist, lauscht zerstreut den Worten des Heilpriesters, so als erreichten sie ihn aus unermesslicher Ferne.
»Ich fürchte, ich kann nichts mehr für sie tun, Ido. Es tut mir leid. Die Krankheit hat die ganze Lunge befallen, und in diesem Stadium ist alle Heilkunst machtlos.«
»Wie lange hat sie noch?«, fragt Ido kaum vernehmbar. Khal senkt den Blick.
»Sag schon!«, faucht Ido ihn an.
»Vielleicht bis morgen früh, länger nicht.«
Es ist aus. Kein Raum mehr für trügerische Hoffnungen, für haltlose Träume. Spätestens morgen würde die gemeinsame Zeit enden, die ihnen das Schicksal zugestanden hatte.
Die Augen niedergeschlagen, betritt Ido auf Zehenspitzen den
Weitere Kostenlose Bücher