Die Schattenkämpferin 02 - Das Siegel des Todes
Raum.
»Du musst nicht leise sein. Ich schlafe ja nicht.«
Soanas Stimme klingt schwach und erschöpft. Ido findet den Mut, den Blick zu heben und sie anzuschauen. Selbst ihren von der Krankheit gezeichneten Anblick liebt er noch, ihre Totenblässe, ihre vom Fieber nun fast durchscheinende Haut, die schmalen, aufgesprungenen Lippen.
»Komm zu mir. Es ist so weit.«
Sie wirkt gelassen, ruhig, als gelte es nur, sich wie so oft in ihrem Leben auf eine große Reise zu machen, eine Reise allerdings, bei der er allein Zurückbleibt, unfähig, irgendwie damit zurechtzukommen.
Jetzt tritt er auf sie zu, setzt sich neben sie und findet die Kraft, sie anzuschauen. Sein Blick verweilt bei jeder Einzelheit ihres Gesichtes, den tief liegenden, blau umränderten Augen, der runzeligen Haut, dem so schmal gewordenen Halsansatz.
Werde ic h sie so für den R e st meines Lebens in Erinnerung behalten? Ein kranker, ans B e tt gefes s elter Leib?, fragt er sich.
Er kann die Tränen nicht zurückhalten.
Soana schließt die Augen, atmet mühsam. »Bitte, tu das nicht.«
»Was bleibt mir denn sonst übrig?« Sie schweigt.
Ido ergreift ihre Hand, drückt sie. Unzählige Male hat er ähnliche Situationen schon erlebt. Bis zum Überdruss. Aber nie in all den Kriegsjahren hatte er daran gedacht, dies einmal mit Soana durchmachen zu müssen. Er hatte geglaubt, ein Pfeil oder ein Dolch, Schwert oder Gift würden dem zuvorkommen, und Soana würde es sein, die an seinem Sterbelager wachte. Doch so gnädig will das Schicksal nicht mit ihm sein.
»Sei nicht so traurig«, hebt Soana, mühsam sprechend, wieder an. »Wir hatten doch unsere gemeinsamen Jahre. Für mich sind sie ein kostbares Geschenk. Und ich habe alles erlebt, was das Leben bietet, und alles getan, was ich zu tun hatte. Ich habe nichts versäumt.«
»Aber hätte ich dich doch bloß nicht gezwungen, hier unter der Erde Zu leben, in diesen verdammten Kanälen, wäre ich nicht so sturköpfig gewesen, immer weiter den Kampf zu suchen, die Kriege... «
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Nein, Ido, es war meine freie Entscheidung, dich zu begleiten.«
Er schüttelt den Kopf. Will sich nicht abfinden. »Hätte ich dir früher gesagt, dass ich dich liebe, wären uns noch viel mehr Jahre geblieben.«
Soana lächelt. »Doch die Jahre, die wir hatten, kann uns keiner mehr nehmen. Und es war keine kurze Zeit.«
Für ihn ist sie wie im Flug vergangen. Er küsst ihre Hand, drückt sie, weint.
»Ido . . . « Soana weiß nicht mehr, wie sie ihn trösten soll.
Und Ido denkt, dass der Tod eines geliebten Menschen nie natürlich sein kann, dass es immer so etwas wie Mord ist, eine brutale Beraubung. Wie der Verlust eines Armes-. Er wird einem immer fehlen, und man kann sie nicht damit abfinden. Vielleicht ist das Leben einfach so, aber wenn es so ist, dann ist es ungerecht, und es wäre vielleicht besser, es gar nicht zu leben.
»Lass mich nicht auf diese Weise gehen, Ido, mit dem Schmerz, dich so verzweifelt zu sehen.«
Ido spürt, dass ihm die Worte fehlen.
»Glaub mir, auch darüber wirst du hinwegkommen. Du musst es nur wirklich wollen.« Leise laufen Ido weiter die Tränen über die Wangen und benetzen Soanas Hand. In diesem tiefen Schacht, in den er sich gestürzt fühlt, kann er sich unmöglich vorstellen, eines Tages noch einmal die Sonne zu sehen. Und er will es auch gar nicht. Wenn Soana stirbt, ist es nicht mehr als richtig, selbst nur noch in Finsternis weiterzuleben für die restliche Zeit, die ihm noch bleibt.
»Bitte, lass uns von etwas anderem reden.«
Soana zwingt sich zu einem Lächeln und versucht, ihre Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen, doch sie bekommt kaum noch Luft. »Erinnerst du dich noch an den Abend, als ich dich bat, bei dir bleiben zu dürfen?«
Ido schließt die Augen. Und sieht sie nun wieder so, wie sie damals war, hat genau dieses Bild vor Augen, als seien seit damals nicht so viele Jahre vergangen. Jetzt hat er keinen Zweifel mehr, jetzt weiß er, dass er sie so und nicht anders in Erinnerung behalten wird.
»Wie könnte ich das vergessen?«
»Oder Dohors Hochzeit mit Sulana, als wir zusammen vor dem Brautpaar standen. Wie hast du dich geschämt!«
»Ich hob mich doch nicht geschämt!«, braust Ido auf.
»Und ob. Aber nicht für mich. Sondern für dich selbst, weil du das Knie beugen musstest.«
Ido lächelt errötend.
So unterhalten sie sich weiter, denken zurück an das, was sie zusammen erlebt haben, an die
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