Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
Rüstung auf dem Rücken eines riesengroßen roten Drachen schwingt eine Waffe mit einer runden hölzernen Glocke und einer gebogenen Klinge, die genau auf ihn gerichtet ist. Sein Gesicht ist durchzogen von einer langen weißen Narbe. Learco mustert ihn einen Moment und beginnt plötzlich zu zittern. Ido.
»Sieh mal einer an, wen haben wir denn da . . . ?«, murmelt der Gnom mit einem gemeinen Grinsen.
Instinktiv sucht Learco das Weite. Was bleibt ihm auch sonst übrig? Ido ist eine Legende, ein unbesiegbarer Krieger.
Doch vergebens. Im Nu ist der Gnom bei ihm, während sein Drache gleichzeitig den Schwanz von Learcos Reittier packt. Das Tier brüllt vor Schmerz, bäumt sich auf, und nur mit Mühe gelingt es Learco, sich im Sattel zu halten. Ich werde sterben, denkt er. Ich werde sterben!
Jetzt spannt der rote Drache alle Muskeln an und schleudert seine Beute in hohem Bogen fort.
Learco verliert die Orientierung, wirbelt herum und kracht mit seinem Drachen zu Boden. Doch Ido attackiert nicht, beobachtet ihn nur mit höhnischem Blick, während Learco mühsam wieder auf die Beine kommt.
Der Junge stellt sich zum Kampf auf, will sich verteidigen und weiß doch schon, dass sein Schicksal besiegelt ist. Mit beiden Händen umfasst er sein Schwert und streckt es vor seinem Körper aus.
Ido deutet auf die Waffe. »Trägst du immer die alten Sachen deines Vaters?«, fragt er in spöttischem Ton.
Learco versteht. Es ist das Schwert seines Vaters.
»Weißt du, wer ich bin?«
»Ido.«
Der Gnom lächelt. »Dein Vater war ungefähr in deinem Alter, als ich ihn in der Akademie vor allen demütigte, und führte dasselbe Schwert wie du jetzt. Hat er dir davon erzählt?«
Nein, das hat Dohor nie getan. Trotzdem kennt Learco die Geschichte. Denn in den Fluren des Palastes wurde immer wieder hinter vorgehaltener Hand davon erzählt, wie Ido den König einmal als jungen Burschen, als dieser in der Akademie den Prahlhans spielte, vor aller Augen in die Schranken verwiesen und schwer gedemütigt hatte, indem er ihn in einem Zweikampf in drei von drei Angriffen spielerisch leicht entwaffnete. Noch fester nimmt Learco das Schwert in die Hand. Er weiß sehr genau, was geschehen wird. Ido ist der ärgste Feind seines Vaters, diese Gelegenheit, sich über den Prinzen an Dohor zu rächen, wird er sich nicht entgehen lassen. Töten wird er den einzigen Thronerben des Königs, ihn zuvor aber noch Quälen und erniedrigen. Es ist aus mit ihm. Learco spürt, dass seine Hände glitschig sind vom Schweiß, auch seine Stirn istjeucht. Er fröstelt.
Ich werde kämpfen, denkt er, ich werde das anwenden, was mir beigebracht wurde, werde mich so schlagen, wie mein Vater es von mir erwartet, und ehrenvoll untergehen.
Ido startet einen Überraschungsangriff, und Learco kann nur mit knapper Not parieren. Sogleich ist er im Hintertreffen, die Angriffe seines Gegners kommen mit ungewöhnlicher Kraft. Ido fühlt sich überlegen, Learco liest es in seinen Augen, und er bat recht damit. Der Gnom attackiert ohne Gnade, spielt, vergnügt sich mit ihm, und er selbst ist ihm vollkommen ausgeliefert.
Noch schneller saust Idos Schwert hin und her, und plötzlich spürt Learco ein starkes Brennen in der Schulter. Getroffen. Die Klingenspitze seines Gegners ist rot. Es ist sein Blut. Zum ersten Mal in seinem Leben wird er von einem Schwert verletzt. Zuvor ist es nur Forras Peitsche gewesen.
Ein kurzes Stöhnen entfährt ihm, er senkt den Kopf, erholt sich aber sogleich wieder. Er muss seinem Namen Ehre machen. Vielleicht wird er sterben, aber sein Vater wird stolz auf ihn sein. Das war er bisher nie, Learco weiß das. Daher ist es jetzt umso wichtiger, tapfer zu kämpfen, es ist seine letzte Gelegenheit dazu. Er beschließt, das Schwert nur noch mit einer Hand zu umfassen.
Ido erhöht wieder den Druck, und seine Hiebe finden immer häufiger ihr Ziel. Stiebe, Schnittwunden, und mit jedem Mal kommen Learco kurze Wehlaute über die Lippen. Er versucht sie zu unterdrücken, aber es gelingt ihm nicht. Schwach und unfähig fühlt er sich, und mehr und mehr ist ihm Zum Weinen zumute.
Meinem Vater wird man berichten, ich sei ein Feigling gewesen.
»Du kämpfst nicht schlecht«, ruft Ido da und setzt höhnisch hinzu, »aber wie ein Grünschnabel.«
Er trifft Learcos Klinge und drückt mit solcher Kraft dagegen, dass sich dessen Handgelenk verdreht und seine Waffe schließlich weit davonfliegt. Er sieht ihr noch nach, wie sie einen funkelnden Bogen in der Luft
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