Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
verschwunden. Lonerin hätte ihn gern noch gefragt, wo Dubhe sei, doch dazu war er nicht mehr gekommen. Aber wichtig war ja eigentlich nur, dass sie sich nicht hatte blicken lassen. Vielleicht hatte sie ihn sogar toben hören, sich aber ganz bewusst von ihm abgewendet. Ein doppelter Verrat.
Als sein Blick auf die dampfenden Schüsseln fiel, verkrampfte sich sofort sein Magen. Dann sah er sich um, betrachtet das Chaos, das er angerichtet hatte, den umgeworfenen Tisch mit dem zerbrochenen Tischbein am Boden, und er schämte sich für sich selbst. Der Anblick war ihm so unangenehm, dass es ihn plötzlich hinausdrängte.
Draußen war es ungewöhnlich düster. Der Himmel war wolkenverhangen, und die Drachen am Fuß des Steilhangs schwiegen in ihren Schlupflöchern. Hier und da erhellten schon Blitze das Tal, und plötzlich prasselte ein heftiger, reinigender Regen hernieder. Es war ganz ähnlich wie damals im Wald zu Beginn ihrer Reise. Lonerin konnte nicht widerstehen und blickte zu Dubhes Hütte hinüber, die im Regen kaum noch auszumachen war.
Ich muss nach ihr sehen, mich um ihre Wunden kümmern, überprüfen, ob sie das Gegenmittel eingenommen hat.
Er schloss die Augen, und seine Füße bewegten sich von allein.
Das Dorf wirkte verlassen. Die Holzbrücken, die er überquerte, waren glitschig geworden, er nahm ein paar Stufen, hinauf und hinunter, und während er sich Dubhes Hütte näherte, schlug sein Herz immer schneller. Er stellte sich vor, wie sie immer noch mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt auf dem Fußboden saß. Er blieb stehen. Durch die Nässe war das dunkle Holz der Hütte fast schwarz geworden. Er starrte auf die Tür, die Fenster. Alles verrammelt. So stand er da, mit triefenden Haaren, und wusste nicht weiter. In diesem Augenblick begriff er, dass sie die Wahrheit ge sagt hatte. Sie liebte ihn nicht. Und sie würde ihn nie lieben. Nur wenige Stunden waren vergangen, und nun wurden alle Illusionen mit dem Regen hinweggeschwemmt. Er setzte sich unter ein Vordach, hatte weder die Kraft, zu ihr zu gehen, noch, in seine Unterkunft zurückzukehren. So saß er nur da in seinen durchnässten Kleidern und schaute dem Regen zu.
Drei Tage lang bewegte sich Dubhe nicht aus ihrer Hütte. Sie war nicht nur erschöpft, sondern hatte auch keine Lust, sich draußen zu zeigen. Draußen war Lonerin, und sie wusste, dass sie seinen Blick nicht ertragen würde.
Sie hätte nie geglaubt, dass es so wehtun würde, ihn zurückzuweisen, wegzuschicken. Was sie so zerriss, war die gnadenlose, schmerzliche Erkenntnis, einen Menschen verletzt zu haben, der ihr selbst das Leben gerettet hatte. Sie fühlte sich wieder genauso wie zu Beginn ihrer Reise, als sei sie in die Vergangenheit zurückgekehrt. Erneut hatte es sich gezeigt: Sie konnte ihrem Schicksal nicht entkommen, es verfolgte sie, zwang sie, anderen Leid zuzufügen, obwohl sie es gar nicht wollte, so als seien Tod und Schmerz der einzige Weg für sie.
Daher hatte sie die Tür verriegelt und die Läden geschlossen. Sie wollte kein Tageslicht. Die Finsternis passte besser zu ihrer Verfassung so wie damals, als sie sich als kleines Mädchen, nach Gornars Tod, in ihrem Zimmer auf dem Dachboden verkrochen hatte.
Die gelegentlichen Besuche des Heilpriesters waren die einzige Abwechslung. Er zeigte sich unglaublich diskret, fragte nicht, warum sie sich einschließe, und versuchte auch nicht, die Fenster zu öffnen. Ihr Schweigen respektierend, blickte er ihr nicht in die Augen, sondern kümmerte sich nur um seine Aufgabe, sah nach ihren Wunden und brachte ihr zweimal am Tag zu essen. In gewisser Hinsicht war seine stille Anwesenheit ein Trost für sie. Während ihr Körper heilte und ihre Kräfte zurückkehr ten, schwankte sie im Geist immer wieder hin und her. Ein Teil ihrer selbst fragte sich, ob sie nicht etwas falsch gemacht, einen entsetzlichen Fehler begangen hatte. In gewisser Weise fehlte ihr Lonerin. Doch eine Antwort fand sie nicht. Und so fragte sie sich weiter, warum es nur so schwierig war, sich zu entscheiden, warum jede Entscheidung wie ein Sprung ins Unbekannte war.
Am Morgen des dritten Tages endete ihr selbst gewählter Rückzug. Im hellen Viereck der Tür erschienen nicht wie sonst die Umrisse des jungen Heilpriesters, sondern die eines anderen, größeren und älteren Gnomen.
»Heute ist der Tag eures Aufbruchs«, sagte er mit einem Lächeln. Er sprach mit starkem, aber keineswegs unangenehmem Akzent.
Dann legte er eine Hand auf die Brust und
Weitere Kostenlose Bücher