Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
gewesen, hätte sich dieser junge blaue Drachenleib unversehens in den alten roten Körper seines Vesa verwandelt. Ido spürte einen Kloß im Hals.
Der Drachenritter war ein junges Bübchen, das, wäre Ido noch Oberster General gewesen, vielleicht noch keinen Drachen hätte reiten dürfen.
»Es soll kein Misstrauen in deine Fähigkeiten sein, aber ich hab's sehr eilig«, erklärte er, die Zügel fest in der Hand.
»Aber General, der Drache hört nur auf mich ...«
Ido lächelte. »Vor meiner Laufbahn als Oberster General, die, wie du vielleicht weißt, auf turbulente Weise endete, habe ich mehr als fünfzig Jahre lang Drachen geritten. Glaub mir, auch mit deinem Drachen werde ich keine Schwierigkeiten haben.«
Nach einem Tagesflug gelangten sie ans Ziel. Es handelte sich um einen Vorposten im Großen Land, nicht weit von der Grenze zum Land der Tage entfernt. Das Gebiet war relativ ruhig und schien Ido ideal, um die Grenze zu überque ren. Dort würde wohl niemand auf ihn aufmerksam werden, zumal dieser Teil des Großen Landes Wüste war.
Im Lager hielt er sich nicht länger auf, als für die üblichen Formalitäten unbedingt nötig war, bestieg dann den Hengst, den man ihm dort zur Verfügung stellte, und machte sich wieder auf den Weg. In diesen Kriegszeiten konnte ihn der Drache nicht länger begleiten.
Ohne Schwierigkeiten durchquerte er das Gebiet des Großen Landes, und als er die Grenze erreichte, wurden ihm dort auch nur wenige Fragen gestellt. Er erklärte, er sei Kaufmann, und die dortigen Wachen, zerstreut und nachlässig, fanden nichts daran aussetzen. Sie forderten ihn noch nicht einmal auf, die Kapuze abzunehmen und sein Gesicht zu zeigen. Im Stillen dankte er ihnen dafür.
Seit Nihals Zeiten hatte sich das Land der Tage sehr verändert. Wieder einmal war ein Krieg darüber hinweggegangen und hatte die ärmlichen Hütten der Fammin-Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht.
Nachdem die Fammin vertrieben waren, schien sich die Lage dort auf den ersten Blick beruhigt zu haben. Doch Dohor presste den natürlichen Reichtum des Landes bis zum letzten Tropfen aus und nutzte ihn, um seine Armeen auszurüsten und seine ohnehin schon prachtvolle Hofhaltung noch dekadenter zu gestalten. Das Land selbst war aufgeteilt worden unter Dohors Mitstreitern, die ihn bei der Eroberung unterstützt hatten, und bestand nun aus einer Reihe von Herzogtümern, die von despotischen Exgenerälen, manchmal auch nur von gewöhnlichen Offizieren regiert wurden. Für das einfache Volk war es die Hölle. Mit der Hauptstadt Seferdi hatte es das Schicksal am schlechtesten gemeint. Schon der Tyrann hatte die Stadt in einer einzigen Nacht vollkommen zerstört. Dies war der Auftakt zur systematischen Ausrottung aller Halbelfen gewesen, der Nihal als Einzige entgangen war. Nach der Großen Winterschlacht, die die Niederlage des Tyrannen herbeigeführt hatte, hatte man zunächst beschlossen, die Ruinen als Mahnmal für künftige Generationen stehen zu lassen. Dohor war da anderer Ansicht. Virka, der Regent, den er dort einsetzte, ließ die Sümpfe rings um die Hauptstadt herum trockenlegen und überließ den Boden einigen wenigen Gutsherren. Seferdi selbst wurde dem Erdboden gleichgemacht und entstand völlig neu, womit auch alle Spuren des vom Tyrannen verübten Völkermords getilgt wurden. Die Erinnerung daran ging mehr und mehr verloren.
Die Jüngeren wussten heute nur noch in den Grundzügen von diesen dramatischen Ereignissen, und die meisten Bewohner kannten die Stadt nur in ihrem modernen Erscheinungsbild als eine Ansammlung grauer Backsteinbauten, zwischen denen immer noch die stinkende Luft der Sümpfe zu riechen war, die die Stadt einst umgeben hatten.
Es war schon Abend, als der Gnom dort eintraf. Bereits zwei Wochen war er unterwegs, und er wurde allmählich unruhig. Bis jetzt hatte er noch nichts erreicht.
Die Schenke, die er geradewegs ansteuerte, lag im Zentrum Seferdis, am hässlichsten Platz der Stadt, der nicht mehr war als ein mit weißen Platten gepflastertes Rechteck und einer Dohor-Statue in der Mitte, auf der der Schriftzug »Dem Befreier des Landes der Tage« zu lesen war. Mehr als einmal war diese Statue geköpft worden, in jener Zeit, als der Aufstand im Land des Feuers auch außerhalb der Grenzen mit Leidenschaft verfolgt wurde, und so hatte man den steinernen Dohor irgendwann mit einem Eisengitter umgürtet, das mit zahlreichen Spitzen versehenen war. Seitdem war die Statue nicht mehr angerührt worden.
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