Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
durcheinander. Vielleicht habe ich mich geärgert beim Aufwachen, weil du fort warst, und außerdem ist alles so schauerlich hier . . . Diese Gespenster gehen mir nicht aus dem Kopf.« »Ich bin keine Assassinin.« »Nein, natürlich nicht«, antwortete er, den Blick gesenkt.
Dubhe kam ganz nahe an ihn heran. »Ich war nie eine Assassinin und werde auch niemals eine sein. Verstanden? Als ich mit dir aus dem Bau der Gilde floh, habe ich das Tor hinter mir zugeschlagen, und das für immer.«
Sie blickte ihm so fest in die Augen, dass Lonerins Zorn vollends verrauchte. Plötzlich wusste er gar nicht mehr, wie er mit ihr umgehen sollte. Bisher war alles so einfach gewesen: Sie waren Gefährten bei diesem Abenteuer, unterstützten einander, machten sich gegenseitig Mut . . . Und plötzlich wurde ihm klar, dass ihn ihre »mörderische« Seite nicht wenig beunruhigte, weil sie damit Opfer und auch Peinigerin war, was ihn wiederum gleichzeitig abstieß und faszinierte.
»Verzeih mir, ich verstehe dich ja, aber plötzlich sah ich dich mit ganz anderen Augen, als ich beobachtete, wie du dort zwischen den Bäumen allein deine Übungen machtest«, gestand er. »Da hast du mich an etwas erinnert, was du ja gar nicht bist, an die Assassinen nämlich, mit denen ich in der Gilde zu tun hatte. Und ich hasse die Gilde mehr als sonst irgendwas. Wenn ich könnte, würde ich sie eigenhändig auf der Stelle vernichten.«
Dubhe senkte den Blick. »Vielleicht liegst du gar nicht so falsch. Letztendlich bin ich doch ein Kind des Todes.«
Es klang verbittert, und ihr kalter, verzweifelter Blick ging Lonerin durch Mark und Bein.
»Das ist doch ein dummer Aberglaube«, widersprach er heftig.
»Schon«, antwortete Dubhe mit einem gezwungenen Lächeln, »aber es stimmt auch, dass du vorhin eine Mörderin trainieren sahst.«
»Das ist doch unwichtig.«
»Für mich nicht«, erwiderte sie.
»Nein, nein, normale Leute, Leute wie du und ich, können gar keine Komplizen der Gilde sein, sondern sind immer Opfer. Das weiß ich genau«, fuhr Lonerin fort. Einen Moment lang schaute er ihr überzeugt in die Augen, wandte dann aber den Blick ab, bevor seine Augen ihr etwas von seiner tragischen Vergangenheit verrieten.
Es gab Dinge, Begebenheiten, die er ihr einfach nicht erzählen konnte. Das Gespräch endete brüsk, und sie machten sich wieder auf den Weg. Das Unterholz knackte unter ihren Schritten, und immer noch schien der Wald sie nicht aus den Augen zu lassen.
Plötzlich schreckte ein nahes Rascheln sie auf. Sie verharrten, und Dubhe griff zum Bogen.
Dann wieder Stille, schwer und unheilschwanger. Die Sonnenstrahlen bildeten Lichtflecken auf dem Laub des Waldbodens.
Der Schrei eines Vogels über ihren Köpfen ließ sie zu sammenzucken. Plötzlich ein Schatten, ein Hieb, rasch und zielgenau. Ein Tier! Dubhe wurde zu Boden gerissen, während ein heftiger Schmerz ihren Unterleib durchfuhr und ihr der Bogen aus der Hand flog.
Ein eigenartiges Krächzen, dem Wimmern eines Kindes nicht unähnlich, wurde übertönt von Lonerins panischen Schreien.
Rasch richtete sie sich auf und schloss die Hand fester um den Dolch. Diese Waffe nie zu verlieren, war das Erste, was ihr der Meister beigebracht hatte. Ungeachtet des Schmerzes rollte sie herum und kam auf die Knie. Sie hatte die Situation richtig eingeschätzt, denn nun befand sie sich seitlich des Tieres. Einen Moment lang verharrte sie, unsicher, was zu tun sei, so fantastisch war das Geschöpf, dem sie sich nun gegenübersah. Der Leib ähnelte vage dem eines gigantischen Ziegenbockes, doch die Tatzen mit den langen, scharfen Krallen waren eindeutig die einer Raubkatze. Die Augen wiederum waren ziegenartig mit wässrigen waagerechten Pupillen, doch die mächtigen langen Reißzähne viel zu groß für sein so schmales Maul. Die langen, geschwungenen Hörner waren gesenkt und bedrohlich auf Lonerin gerichtet.
Eben diese Hörner waren es wohl, die Dubhe im Unterleib getroffen und zu Boden gestoßen hatten.
Noch bevor sie sich gefasst hatte, griff das Untier wieder an und ging auf Lonerin los, wobei es seine Hörner geschwind rotieren ließ. Es war ein unglaubliches Bild, zu aberwitzig, um wahr zu sein.
Lonerin schrie auf. Der Bock hatte ihn gerammt.
»Dubhe, verflucht, so tu doch was!«
Sie riss sich zusammen, nahm den Dolch noch fester in die Hand und stürzte los.
Es fiel ihr leicht, jenen Teil ihrer selbst wachzurufen, der zur Mörderin gehörte, zur Jägerin. Die Bestie in ihr trieb sie
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