Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
rasches, schmerzloses Ende. Sie persönlich sorgte dafür. Schließlich wusste sie genau, wie man tötete, ohne das Opfer leiden zu lassen. Sogar ein wenig von seinem Blut hatte sie in dem Fläschchen mit der grünen Flüssigkeit aufgefangen, um es im Bau der Gilde Thenaar zu opfern. Dabei bedeutete ihr dieser Mensch überhaupt nichts. Wie sie selbst war er ein Assassine gewesen, und nur als Kamerad erwies sie ihm die letzte Ehre, trauerte nur um den Verlust eines Siegreichen. So hatte man es sie gelehrt: Waffenbrüder wurden geachtet, doch nur Thenaar geliebt. Darüber hinaus gab es so etwas wie Liebe überhaupt nicht, und der Geschlechtsakt diente allein dazu, neue Siegreiche hervorzubringen. Auch Freundschaft war eine Illusion und Kameradschaft der einzige Wert.
Was für ein Mensch war Kerav gewesen? Gab es irgend-jemanden in der Gilde, der auf ihn wartete? Das war ohne Bedeutung. Nur um eins beneidete Rekla ihn. Dort unter der Erde liegend war er bereits in Thenaars blutiges Reich heimgegangen und konnte dort seinem Gott nahe sein. Oh Herr, sprich zu mir . . .
Wieder antwortete ihr bloß das Echo ihrer eigenen Gedanken.
Wenn sie an diesen Magier dachte, der sich in ihr Haus eingeschlichen hatte, zitterte sie vor Zorn. Dubhe würde sie in aller Ruhe töten, daheim im Bau der Gilde, würde ihr Blut langsam in das große Becken laufen lassen. Doch diesem dreisten Bürschlein würde sie mit Vergnügen an Ort und Stelle den Garaus machen. Sie ballte die Fäuste so fest, dass ihr die Fingernägel in das Fleisch schnitten.
Lonerin und Dubhe übernachteten an einem schönen Teich mit kristallklarem Wasser, der von einem kleinen Wasserfall gespeist wurde. Seit Tagen wanderten sie nun schon, fast ohne zu rasten, um die Assassinen so weit wie möglich hinter sich zu lassen. Doch an diesem Abend hatten sie beschlossen, ein Lager aufzuschlagen, um sich zu stärken und auszuruhen.
Lonerin sprang als Erster in das Wasser, und zu seiner Überraschung tat es ihm Dubhe sogleich nach.
Nach all dem, was sie erlebt hatten, war es ein unerwartetes, aber auch natürliches Vergnügen, frei im Wasser herum zutollen, und auch die Freude, die sie ausstrahlte, war durchaus echt.
Lonerin sah ihr zu, wie sie tief in den See eintauchte und dann wieder ein paar kräftige Züge schwamm. Wie gern hätte er sie häufiger so gesehen mit diesem fröhlichen Gesicht, und stärker als je zuvor spürte er das Verlangen, ihr zu helfen und sie zu retten - koste es, was es wolle.
Wieder am Ufer, legte sich Dubhe sogleich nieder und schlief bald darauf ein. Vielleicht lag es an dem Bad, vielleicht auch an der Erschöpfung, aber ausnahmsweise einmal hatte Lonerin den Eindruck, dass ihr Schlaf friedlich war. Er hingegen wachte am Feuer, die entfaltete Karte zu seinen Füßen. Neben Idos Notizen in dessen kleiner Handschrift standen nun die Bemerkungen, die er selbst mit größeren Schwüngen hinzugefügt hatte. Es machte ihm Spaß, sich als Entdecker zu fühlen, und er träumte davon, als solcher nach Hause zurückzukehren und den Kartografen daheim den Entwurf einer ganz neuen Landkarte übergeben zu können.
Erst als er sich wirklich erschöpft fühlte, legte er sich ebenfalls nieder. Er streckte sich und blickte dabei über den hübschen Teich. Es war ein bezaubernder Ort. Die perfekt runde Scheibe des Mondes spiegelte sich auf dem ruhigen Wasser. Lonerin hatte Durst und stand auf, um noch etwas zu trinken. Ihre Flaschen waren gut gefüllt, aber wann hatte er sich das letzte Mal zum Trinken über einen Bach oder etwas Ähnliches gebeugt?
Er blickte wieder über die glatte Wasserfläche, und fast kam es ihm wie ein Sakrileg vor, die Hände einzutauchen und sie dadurch zu zerstören.
So hockte er seltsam unentschlossen da, als er plötzlich etwas aus dem Wasser auftauchen sah.
Vielleicht schlafe ich auch schon, und das ist alles nur ein Traum, dachte er noch. Und in der Tat kam ihm die Situation ganz unwirklich vor. Aber er schlief nicht, das wusste er. Mehr und mehr schob sich ein eigenartiges Wesen aus dem Wasser, dessen dunkler Körper von einem schmalen leuchtenden Rand umgeben war. Der Kopf war flach, der Hals dünn, und auch die Schultern wirkten schmächtig wie von einem Knaben. Es war vollkommen still, sogar der Wasserfall schwieg.
Lonerin war wie in Trance. Er hörte nur den Atem dieses geheimnisvollen Wesens, das ihn von der Mitte des Teiches aus ansah. Es drängte ihn, es zu berühren, sich ihm zu nähern. Er wusste, dass er es tun
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