Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
die Vertiefung, in die Nihal hineingegriffen hatte, um das Herz dieses Heiligtums an sich zu nehmen, mit dessen Hilfe sie die Welt vom Tyrannen befreien konnte. Sherva berührte ihn und kniete nieder. Schütze mich auf meinem Weg, wache über meinen Schlaf, hülle mein Lager in Finsternis.
Seine Mutter hatte ihn mit der Kultur der Nymphen bekannt gemacht und ihn gelehrt, die mächtigen Naturgeister zu ehren. Deshalb hatte er dieses Gebet gesprochen. In seinem der Kunst des Mordens geweihten Leben war im Grund kein Platz für Thenaar oder andere törichte Gottheiten. Für ihn gab es nur die reinen Geister der Natur, die sein Volk anbetete.
Sherva beobachtete, wie Leuca nun ihren Gefangenen an einen anderen Baum fesselte. Der Junge war geknebelt, seine Augen waren gerötet und geschwollen, seine Wangen feucht von Schweiß und Tränen. Nun starrte der Kleine ihn an, und in diesem Blick erkannte Sherva einen Hass, der ihm nicht missfiel. Es war nicht zu übersehen, wie viel Elfenblut in den Adern des Jungen floss. Sein Haar schimmerte schwarzblau, während seine Ohren oben seltsam spitz zuliefen. Er war von ganz anderem Schlag als sein Vater, dieser Schwächling ohne Saft und Kraft, den er mit eigenen Händen umgebracht hatte. Vielleicht war der Junge tatsächlich geeignet für Yeshols Pläne, aber ihm selbst war das gleich, es interessierte ihn einfach nicht.
»Nimm ihm den Knebel aus dem Mund«, befahl er seinem Begleiter.
Leuca blickte Sherva zweifelnd an. Wenn mit diesem Jungen etwas schiefging, würde es sie teuer zu stehen kommen. Deshalb wäre er gern vorsichtiger gewesen. Und außerdem war er selbst ein Assassine, dem viel daran lag, diese Mission erfolgreich abzuschließen. Es war bereits ein Wagnis, auf dieser Lichtung zu rasten, aber nun diesem Bengel auch noch den Knebel aus dem Mund zu nehmen ... »Aber, Herr ...«
»Was willst du? Wir brauchen ihn doch lebend. Und um zu leben, muss er essen und trinken. Nimm ihm den Knebel ab, habe ich gesagt.« Leuca wusste, er durfte nicht zu weit gehen.
Er nahm den Knebel aus dem Mund des Jungen, und der dankte es ihm, indem er ihm augenblicklich mit aller Gewalt in die Hand biss.
Leuca schrie auf, während sich ein Lächeln in Shervas Gesicht stahl.
»Verfluchter Bastard!«, schrie Leuca und verpasste dem Jungen mit der flachen Hand einen brutalen Schlag ins Gesicht, der ihm die Lippe aufriss.
Sherva sprang auf und packte Leucas Hand, bevor der noch einmal zuschlagen konnte. »Yeshol will ihn heil, verstanden?«, knurrte er und verdrehte Leucas Handgelenk. Leuca nickte, während ihm der kalte Schweiß ausbrach.
Tja, bei Schwächeren wie Leuca kannst du dich leicht durchsetzen, aber bei Yeshol? Sherva überlegte einen Moment, ließ dann mit entnervter Miene seinen Kumpan los und wandte sich dem Jungen zu. Dem lief das Blut aus dem Mund, und er zog die Nase hoch. Aber er weinte oder jammerte nicht. Er starrte Sherva nur wütend an, und der Wächter lächelte spöttisch zurück. »Mit Blicken kannst du mich nicht töten.«
Er holte ein Stück Käse hervor und drückte es dem Jungen in die Hand. »Das ist für heute. Wenn du brav bist, erhältst du morgen die doppelte Ration.« »Von dir nehme ich gar nichts an, du Mörder!«, brüllte der Junge, warf den Käse fort und spuckte in Shervas Richtung.
Der Assassine kam mit dem Gesicht ganz nahe an den Jungen heran und zischte mit wutverzerrter Miene: »Pass nur auf! Ich kann dir jederzeit den Hals umdrehen so wie deinen Eltern, ohne dass du mich irgendwie daran hindern könntest!« Der Junge biss sich auf die Lippen, bis sie weiß wurden.
Da packte ihn Sherva an den Haaren und sagte, jede Silbe betonend: »Deine Verachtung trifft mich nicht, und deine Worte ebenso wenig.« Und nach einer Pause fügte er hinzu. »Und jetzt wird gegessen.«
Er hob den Käse vom Boden auf, brach ein Stück ab, stopfte es dem Jungen in den Mund und legte dann die Hand darauf, bis der den Bissen geschluckt hatte. Schließlich blickte er ihn voller Genugtuung an und reichte dann Leuca den Käse, damit der ihn weiterfütterte.
Eine Zeit lang beobachtete Sherva die beiden. Es bereitete ihm ein unterschwelliges Vergnügen, mit anzusehen, wie der Widerstand des Jungen so gewaltsam gebrochen wurde. Dabei war er sich bewusst, dass dieses Vergnügen etwas Feiges hatte. Aber seit Dubhes Flucht war alles anders, schien sein ganzes Leben in Schäbigkeit zu versinken. Aber warum nutzte er diesen Bruch nicht, um Yeshol umzubringen?
Oder denkst
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