Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
stampfenden Schritten erbebte.
Sie holte tief Luft und sprang vor.
Wärme und grelles Sonnenlicht umfingen sie, betäubten sie fast, während ihr eine Myriade berauschender Düfte in die Nase stieg. Mit noch halb geschlossenen Augen, die sich kaum an das Sonnenlicht gewöhnen mochten, warf sie sich auf den Boden.
Nichts.
Sie hatte den Bogen vorgereckt, die Muskeln angespannt: Es war wie früher, wenn sie mit ihrem Meister auf die Jagd ging oder ihn bei der Erledigung seiner Aufträge begleitete. Die plötzliche Erinnerung an ihn war noch schmerzhafter als sonst und nahm ihr geradezu den Atem. Da spürte sie, wie sich eine Hand auf ihren Arm legte, und erschauderte: Einen Augenblick war sie sicher, dass er es sei.
Als sie sich umblickte, sah sie die tröstliche Gestalt von Lonerin, der mit dem Dolch in der Hand ebenfalls am Boden lag. Seine ruhige Miene hätte ihr eigentlich Mut machen müssen, doch alles, was sie empfand, war eine seltsame Enttäuschung. Daher konzentrierte sie sich auf das, was um sie herum war, wobei es eine Weile dauerte, bis sie klar erkannte, wo sie gelandet waren. Sie befanden sich über einer steilen Felswand, die weiter unten in ein tiefes Tal auslief, das, so weit das Auge reichte, mit Bäumen bestanden war. Es waren wohl jene Bäume, die sie bereits von den hiesigen Wäldern kannten, auch wenn sie sie jetzt zum ersten Mal von oben sahen. Das Ganze wirkte wie ein langer Spalt, der bis zum Horizont mit grünem Samt gefüllt war. Der Höhlenausgang ging in einen Pfad über, der zu regelmäßig durch den Fels führte, um nicht angelegt worden zu sein, und das gesamte Tal säumte. An einigen Stellen war er von Gesteinsmassen verschüttet, schien aber doch durchweg begehbar zu sein. Dubhe kroch nun zum Rand des Abhangs, um das Tal besser überblicken zu können. Vorsichtig bewegte sie die Ellbogen, den Bogen immer noch in der Hand und mit Lonerin an ihrer Seite.
Unter sich sah sie nichts als Grün, verflochtene Baumkronen und Äste mit breiten, fleischigen Blättern. Dann ging alles ganz schnell. Wie von einem starken Erdbeben erschüttert, schwankte plötzlich der Boden unter ihr, während ihr ein warmer Atem ins Gesicht strömte.
Es stand unmittelbar vor ihrer Nase, riesengroß, schnaubend. Ihr blieb das Herz stehen.
Lonerin war neben ihr, während sich das Tier jetzt umwandte.
Es hatte einen riesigen Drachenkopf mit einem hohen knöchernen Kamm und einem länglichen Maul. Die glänzenden Schuppen waren von einem dunklen Braun, das zur Wurzel hin in ein tiefes Schwarz überging. Der Kamm hingegen war weiß mit rötlichen Äderungen. Mit einem ohrenbetäubenden Schnauben, als würde ein enormer Blasebalg zusammengepresst, reckte es den Kopf zu Lonerin vor. Seltsamerweise war es weniger die Angst, die Dubhe lähmte, als vielmehr der Blick des Drachen, seine feuerroten, lodernden Augen. Sie wirkten wie ein tiefer Schlund, in dem man sich leicht verlieren konnte, ein Abgrund der Jahrtausende, aus dem heraus das Tier die Welt mit extremer Distanz betrachtete. Auch der Drache schien erschrocken, war verstummt. Doch Dubhe wusste sehr genau, dass die wenigen Zoll, die sie von dem Tier trennten, den Abstand zwischen Leben und Tod darstellen konnten. Die mächtigen Reißzähne in diesem Maul vor ihr waren imstande, alles zu zerfleischen, was sich ihnen in den Weg stellte. Einen Augenblick lang dachte sie an die fantastischen Tiere, die ihnen auf ihrem Weg hierher begegnet waren, und fragte sich, ob der Wald diesmal Ver geltung üben und sie töten werde.
Während sie die wunderschönen Augen des Drachen mit den leuchtenden, goldgelben Flecken in der Iris betrachtete, ging ihr durch den Sinn, dass es auf der ganzen Welt nichts Vergleichbares geben konnte, nichts, was so urtümlich und fantastisch war. Auch wenn der Drache eine tödliche Gefahr darstellte, war Dubhe hingerissen von ihm.
Fast neugierig starrte das Tier sie jetzt an. Sein Atem war kaum wahrnehmbar, die Luft bewegte sich nicht.
Als Lonerin Dubhe antippte, fuhr sie herum und sah, dass er sich auf Knien auf den Drachen zubewegte. In seinen Gesichtszügen lag jene unerschütterliche Entschlossenheit, die sie so sehr an ihm bewunderte. Und in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie sich ihm dieses Gesichtsausdrucks wegen in der Höhle hingegeben hatte. Weil er ein Mann war, der keine Angst hatte, Entscheidungen zu treffen.
Als sei es ein Traum, sah sie zu, wie er jetzt eine Hand nach dem Drachen ausstreckte und dieser ein wenig das
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