Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
Maul zurückzog.
Die Hand weiter vorgestreckt, hielt Lonerin in der Bewegung inne. Seine Miene wirkte gelassen, offenbar hatte er keine Angst, und so gab er sich auch. Der Drache schien fast belustigt, und in seinem Blick flackerte so etwas wie Verständnis auf. Er schob die Hand des Magiers mit dem Maul zur Seite, aber die Geste wirkte nicht feindselig, sondern fast gespielt entrüstet. Da zog Lonerin die Hand zurück und verneigte sich so tief, dass sein Kopf fast den Fels berührte. Dubhe spürte, dass sie es ihm nachtun musste. Auch wenn sie die Geste nicht genau verstand, war ihr bewusst, dass dies jetzt einfach verlangt war, auch ohne eine logische Erklärung.
Sie tat es, fühlte sich verwundbar, schutzlos dabei. Hätte der Drache jetzt angegriffen, hätte sie es noch nicht einmal gesehen.
Sie spürte seinen Atem und sah aus den Augenwinkeln, wie er sich gemächlich Lonerin näherte, dann dessen Kopf mit dem Maul berührte. Das Gleiche tat er dann bei ihr, mit derselben Ruhe und ebenso behutsam. Dubhe war bewegt. Sie hob den Kopf und sah für einen kurzen Moment noch das riesengroße Maul und diese roten Augen, die sie ernst anblickten.
Dann war der Drache verschwunden.
Lonerin neben ihr stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Dubhe betrachtete ihn neugierig, aber so, wie sie auch einen Fremden hätte ansehen können. Seine Kaltblütigkeit hatte sie verblüfft.
»Warum starrst du mich so an? Es ist ja noch mal gut gegangen. Weißt du, ich glaube, die Unerforschten Lande haben endlich beschlossen, uns in Frieden zu lassen.«
»Deswegen diese Unterwerfungsgeste? Damit wir hier akzeptiert werden?«, fragte Dubhe mit leiser Stimme.
Lonerin nickte. »Ja, die Drachen sind die ältesten Tiere der Aufgetauchten Welt und sicher auch die Herren dieser Welt. Dieses Land hier gehört dem Drachen, es steht ihm rechtmäßig zu, und wir haben dieses Recht verletzt. Sagen wir so: Indem wir uns vor ihm niederwarfen, haben wir uns den Aufenthalt hier verdient.«
Nach dieser Begegnung setzten sie ihren Weg auf dem schmalen Pfad am Fels entlang fort. Unbeschreiblich war die Schönheit dieses Tals, ein Paradies, wild und fremdartig, mit den mächtigen Drachen, die überall umherstreiften. In kürzester Zeit hatten sie bereits fünf gezählt. Sie waren kleiner als die der Aufgetauchten Welt und erinnerten damit ein wenig an die blauen Drachen aus dem Land des Meeres. Sie unterschieden sich allerdings in der Farbe und vor allem in der Art der Flügel. Denn diese Drachen hier besaßen nur winzige Flügel, die wie Stummel an den Schulterblättern ansetzten. Mit Sicherheit konnten sie damit ihre mächtigen Leiber nicht in die Lüfte heben. Dafür waren sie jedoch von einer besonderen Anmut: Rot und weiß geädert, durchscheinend, fast durchsichtig vermittelten sie den Eindruck von etwas ungeheuer Zerbrechlichem.
Das Faszinierendste war jedoch, dass sich diese Drachen flink wie Eidechsen in den Felswänden bewegten. Dubhe und Lonerin beobachteten, wie sie die Abhänge hinauf- und hinunterkletterten, verschwanden und wieder auftauchten aus dem Wald, der das Tal überzog. Leicht fanden sie Halt in den Wänden dank der mächtigen Krallen, mit denen die drei Zehen einer jeden Tatze ausgestattet waren. Sie waren so lang wie eine Hand breit, scharf und robust, drangen in den Fels ein und verhakten sich in ihm. Und jedes Mal, wenn dies geschah, bebte der ganze Berg. Dies waren die mysteriösen Schritte, die sie auf dem letzten Stück ihres unterirdischen Weges gehört hatten.
Dubhe fiel auf, dass die Wand seitlich von ihnen mit tiefen Löchern durchsetzt war, den Spuren, die die Drachenkrallen hinterlassen hatten.
Die beiden mussten sich zunächst daran gewöhnen, sich in Blickweite dieser Tiere zu bewegen. Die Erschütterungen, die diese auslösten, machten es schwierig, das Gleichgewicht zu halten und auf dem schmalen Pfad nicht abzustürzen. Immerhin zeigten die Tiere nach der erste Kontaktaufnahme keinerlei Interesse mehr an den fremden Menschlein, die ihr Territorium durchquerten, wobei sich Dubhe dennoch die ganze Zeit über wie ein misstrauisch beäugter Eindringling vorkam.
Wie sie feststellten, verliefen nun oberhalb und unterhalb ihres Weges zwei weitere Pfade. Sie erschienen und verschwanden immer wieder, indem sie sich mal mit ihrem Weg verbanden, andere Male zur Felskante hinaufführten oder ins Grün des Waldes unter ihnen eintauchten.
»Die hat bestimmt jemand angelegt«, bemerkte Dubhe und wies mit einer
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